Dieses Abkommen bedeutet eine neue qualitative Stufe der Einschränkung von Geflüchtetenrechten, und somit von Menschenrechten. Gleichzeitig werden die schon langfristig in der Logik des Dublin-Systems angelegten Mechanismen der Repression und Abwertung von Menschen weiter zugespitzt. Das sogenannte Verursacherprinzip auf dem ganz grundlegend die Bestimmung der Zuständigkeit für Asylverfahren innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU verläuft besagt, dass der Staat welcher für die Einreise eines Schutzsuchenden verantwortlich ist, auch für dessen Unterbringung und die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zuständigkeit entsteht also zum einen durch das erteilen eines Einreisevisa oder aber durch das „Zulassen eines Illegalen Grenzübertritts“. Diese sogenannte Ersteinreiseverantwortlichkeit enthält schon in ihrer Grundlogik eine Legitimierung der Abschottungspolitik und Militarisierung der Grenzen, wie sie im Moment von allen europäischen Grenzstaaten betrieben wird. Eine neue Stufe dieser Entwicklung wird durch die in Dublin IV vorgesehene Zulässigkeitsprüfung erreicht. Diese nunmehr zwingend vorgesehene Zuständigkeitsprüfung soll durchgeführt werden um festzustellen ob eine schutzsuchende Person überhaupt Zugang sowohl zum Dublin-Verfahren als auch zum tatsächlichen Asylverfahren erhält. Innerhalb dieser Prozedur wird in einem Schnellverfahren zum einen die Herkunft aus einem sicheren Staat geprüft, ob die Person eine Gefährdung für Ordnung und Sicherheit darstellt und ob sie die EU über einen sicheren Drittstaat erreicht hat. Offensichtlich ist das diese Regelung eine direkte Reaktion auf den EU-Türkei Deal ist und außerdem auch die Weichen stellt für Rückübernahmeabkommen mit anderen an die EU grenzende Staaten. Generell wird innerhalb dieses Verfahrens keine Prüfung individueller Fluchtgründe stattfinden. Inwiefern Geflüchtete innerhalb der „sicheren Drittstaaten“ die Chance auf faire Verfahren, menschenwürdige Lebensbedingungen und die Sicherheit vor Abschiebung in ihre Herkunftsländer haben, wird wie das Beispiel der Türkei zeigt nur wenig beachtet (siehe ProAsyl)
Es ist wichtig Dublin IV auch für die Zukunft in Zusammenhang zu bewerten mit dem insbesondere von Deutschland betriebenen Integrationsprozess vieler afrikanischer Staaten in die Aufrechterhaltung des europäischen Grenzregimes. Dieses Vorgehen hebelt das Recht auf Asyl aus und zeigt wie die europäische Union Verantwortung auslagert auf Kosten von Schutzsuchenden. Während also an den Außengrenzen weiter aufgerüstet wird, konzentrieren sich die restlichen Veränderungen des Entwurfes vor allem auf die noch schärfere Durchsetzung der Dublin-Regeln und die Ergänzung dieser durch einen Korrekturmechanismus. Zum einen wird über die Abschaffung einiger Sonderrechte von minderjährigen Geflüchteten und die Erweiterung der Auswirkungen der Dublin Verordnung auf schon anerkannte Geflüchtete, der von Dublin-Abschiebungen bedrohte Personenkreis massiv erweitert. Zum anderen beziehen sich zahlreiche Regelungen auf die Sanktionierung von Sekundärmigration. So werden Anrechte auf materielle Leistungen außerhalb des zuständigen Mitgliedsstaates abgeschafft und somit Geflüchtete ohne jegliche Existenzsicherung im Stich gelassen. Des Weiteren wird ein bereits gestellter Asylantrag nach Rücküberstellung in den nach Dublin zuständigen Mitgliedsstaat nur noch als Folgeantrag bewertet und somit findet keine individuelle Prüfung auf Fluchtursachen mehr statt und auch eine Familienzusammenführung außerhalb dieses Mitgliedsstaates ist nicht mehr möglich. Innerhalb dieses Systems wird also das Recht auf Asyl eingeschränkt um Schutzsuchende zu bestrafen sollten sie sich den durch die EU diktierten Regeln widersetzen. Mit der Abschaffung von Fristen innerhalb der Dublin IV Verfahren und der weitreichenden Einschränkung des Selbsteintrittsrechts werden auch letzte Spielräume der Mitgliedsstaaten für humanitäre Entscheidungen abgeschafft. Letze verbleibende Notlösungen wie Kirchenasyl oder die Aufnahme von Schutzsuchenden durch ihren momentanen Aufenthaltsstaat auf Grund von besonders unmenschlichen Bedingungen in ihren zuständigen Mitgliedsstaaten werden dadurch unmöglich gemacht. Seine Fortsetzung innerhalb dieses Gesetzes findet auch das Umherschieben von Menschen ohne Anerkennung ihrer individuellen Beweggründe und Bewegungsfreiheiten. Zum einen legalisiert Dublin IV das Zurückschieben von Schutzsuchenden im Falle einer „irrtümlichen“ Abschiebung zum anderen wird über den Korrekturmechanismus eine Art Umverteilung beschlossen, welche bei einer 150% Auslastung der Kapazitäten eines Mitgliedsstaates dazu führt, dass Geflüchtete umverteilt werden in einen anderen nicht ausgelasteten Mitgliedsstaat. Sollte ein Mitgliedsstaat die Aufnahme verweigern muss er an den für die Zuständigkeit einspringenden Mitgliedsstaat 250 000 Euro bezahlen. In voller Deutlichkeit beweist auch dieser Mechanismus wie Menschen innerhalb des Gemeinsamen europäischen Asylsystems hin und her bewegt werden wie Waren und somit ihre Rechte auf Selbstbestimmung und Bewegungsfreiheit systematisch verletzt werden. Generell ist der Gesetzesentwurf passend bewertet worden von dem Europarechtler Steve Peers, welcher die Entwicklungen eine „Orbanisierung der europäischen Asylpolitik“ nannte und sie zusammenfasst mit den Worten: „die Abweisung im Wesentlichen aller Asylsuchenden an den Außengrenzen, einhergehend mit ihrer möglichst brutalen Behandlung, um so das Schengensystem der offenen Grenzen nach innen zu erhalten.“ [http://eulawanalysis.blogspot.de/2016/05/the-orbanisation-of-eu-asylum-law.html] Es setzt einen Prozess der europäischen Abschottung fort, welcher Menschen nicht nur ihre Bewegungsfreiheit aberkennt, sondern sie dazu zwingt, immer gefährlichere Fluchtrouten zu wählen und damit ihr Leben zu riskieren. Es wird so der Tod tausender Menschen in Kauf genommen. Wer es irgendwie dennoch nach Europa schafft wird entweder von Staat zu Staat geschoben, verbleibt in unmenschlichen Zuständen oder befindet sich im ungünstigen Falle ohne Zuständigkeit und erhält keinerlei faires Asylverfahren. Werden dann in der Begründung für das Gesetz noch Worte wie Solidarität und gerechte Verteilung der Verantwortung als Begründung angeführt, so ist dies nur noch als zynisch zu verstehen. Ein solidarischer Umgang mit Geflüchteten wird ganz grundlegend durch die Dublin-Regelungen verhindert. Klar geht aus dem Entwurf hervor, dass dessen Ziel in keiner Weise ist, etwas gegen das gegenwärtige Leid zu unternehmen, sondern im Gegenteil dessen Existenzgrundlage zu sichern und zu rechtfertigen.