Frontex auf neuer Mission: Die neue Verordnung vereitelt Menschenrechte

*English below*

Frontex on a new mission: The new regulation thwarts human rights

 

Am 17. April 2019 verabschiedete das Europäische Parlament eine neue Verordnung1, die die Europäische Grenzschutzagentur Frontex (European Border and Coast Guard Agency) in ihren Aufgaben, Befugnissen und organisatorischen Strukturen grundlegend umgestaltet. Die vermehrte Rückführung von Geflüchteten, als oberstes Ziel im ersten Artikel festgeschrieben, ist Europas einzige und brutale Antwort auf die noch nicht gelöste “Migrationsfrage”.

Ausgangssituation dabei ist, dass ab dem Frühjahr 2015 vermehrt Migrant*innen nach Europa kamen, um Schutz, bessere Lebensbedingungen oder Zukunftsperspektiven zu suchen. Die durch den Schengener Kodex offenen Grenzen der Balkanroute wurden jedoch im März 2016 praktisch geschlossen, um die Ankommenden davon abzuhalten in die oftmals angestrebten westeuropäischen Länder zu gelangen. Systematisch wird dort das Non-Refoulment Gebot2, Schutzbedürftige an den eigenen Grenzen nicht zurück zu weisen, verletzt, um dem fremdenfeindlichen Rechtsruck in den Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen. Seitdem gibt es hier kein Vor, kein Bleiben und kein Zurück. Für die Geflüchteten eine hoffnungslose und tatsächlich auswegslose Situation.
Eine Lösung in Form einer europäischen Neuregelung des Common European Asylum System (CEAS) liegt seit langer Zeit brach, weil die Mitgliedsstaaten sich nicht einigen konnten. Also soll die neue Verordnung den „Stau“ ab sofort und in Zukunft auflösen.

Kernelement des darin festgeschriebenen neuen Aufgabenfeldes von Frontex ist das Unterstützen von Drittländern bei der Entscheidung über die Schutzbedürftigkeit von Geflüchteten, sowie die Organisation von Rückführungen bei deren Ablehnung. Hinzu kommt die personelle und finanzielle Aufstockung der Grenzschutzagentur, da sie ein umfassenderes Aufgabenfeld erhält, um die Maßnahmen umsetzen zu können. Konkret bedeutet das einen Zuwachs an Personal bis 2027 auf 10.000 Mitarbeiter*innen und eine Erweiterung des Etats für den Zeitraum von 2021-2027 auf insgesamt 34,9 Milliarden Euro. Frontex setzt sich dabei aus Mitarbeiter*innen der Agentur (EU-Beamt*innen) und aus den Mitgliedstaaten entsandten Teams zusammen.

Bisher wurde Frontex nur in Mitgliedsstaaten des Schengenraumes tätig, wenn eine rechtsstaatliche Entscheidung dieses Staates über die Einreise bzw. den Aufenthalt im Land vorlag. Nun kann Frontex auf eigene Initiative auch in Drittländern aktiv werden. Vorbereitung, durch Bereitstellen entsprechender Informationen, und Beratung für Rückführungsentscheidungen, sowie deren Ausführung obliegt Frontex. Die Rückführungsentscheidung wird somit rein formell vom Drittland vorgenommen, was allein einer Umgehung des europäischen Grundrechtsschutzes dient.

Dabei haben Frontex-Angestellte eine generelle Ausführungserlaubnis für alle Grenzkontrollen und Zurückweisung betreffenden Maßnahmen, die eigentlich den jeweiligen Staaten vorbehalten sind, was einen offensichtlichen Bruch des Schengen Kodex darstellt. Der Zugang zu einem Asylverfahren kann somit einfach vereitelt werden. Dies ist auch zu erwarten, da die Beamt*innen keine spezielle Ausbildung haben, um die Schutzbedürftigkeit von Menschen erkennen zu können und die gesamte Neustrukturierung auf die Verhinderung der Einreise von „illegalen Migranten“ gerichtet ist.

Weiterhin ist von der Einrichtung von “Frühwarnsystemen” die Rede. Auf Grundlage von Datensätzen von EUROSUR und “Risikoanalysen” soll angezeigt werden, wann sich größere Menschenmengen in Bewegung setzen, um illegal die Grenze zu überqueren. Die Teams haben dann den Auftrag dies zu verhindern. Die Rhetorik des Gesetzes lässt damit keinen Zweifel an der Menschenfeindlichkeit des ganzes Vorhabens.

Zur Durchführung dieser Operationen sollen so genannte kontrollierte Zentren errichtet werden. Der Gesetzestext besagt nicht, ob diese offen oder geschlossen sein werden und ob eine Errichtung auch in Drittländern möglich ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Zentren, in denen Asylverfahren innerhalb von 8 Wochen durchgeführt werden sollen, den griechischen und italienischen Hotspotcamps in Hinblick auf Überlastungen, miserablen Lebensbedingungen, systematischen Rechtsverletzungen und den Ausschluss von sozialer Teilhabe in nichts nachstehen.

Eine Haftungslücke führt zudem dazu, dass es für Betroffene keinen Rechtsschutz gibt. Die Beamt*innen unterstehen in Drittländern den Weisungen von diesen, welche nicht an die EU-Grundrechtecharta gebunden sind. Alle Staaten in Europa gehören zwar zur EMRK, diese enthält allerdings kein Recht auf Asyl, sodass vor dem EGMR hinsichtlich der Rückführung nicht geklagt werden kann. Eine Klage vorm EuGH zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns von Frontex ist für die Betroffenen unmöglich, da die Entscheidung formal von einem Nicht-EU-Staat getroffen wurde und die Rückführung auf dessen Weisung erfolgte.

Außerdem sieht die Verordnung den Einsatz von Gewalt (Pfefferspray, Schlagstöcke und als ultima ratio der Einsatz von Feuerwaffen) als legitimes Mittel zur Durchsetzung der Aufgaben vor. Überschreitet jedoch jemand die Grenzen der verhältnismäßigen Gewaltanwendung, ist auch ein Strafverfahren ausgeschlossen: Frontex-Beamt*innen genießen im Drittland Immunität, ebenfalls eine Anzeige im jeweiligen Entsendestaat ist ausgeschlossen, ein europäisches Strafverfahren gibt es nicht.

Auch außergerichtliche Einrichtungen versprechen keinen Schutz: Ein*e Grundrechtsbeauftragte*r und ein Beschwerdemechanismus zur Verhinderung und Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen sind weitgehend wirkungslos, da dies eine rein interne und damit nicht unabhängige Überprüfung von Vorfällen bedeutet.

Bei der Verabschiedung der Verordnung hatten die Abgeordneten vor allem die Balkanländer im Blick, um die innereuropäischen Grenzen zu öffnen. Es gibt aber keine regionale Einschränkung, sodass einer Anwendung in Libyen oder der Türkei in Zukunft rechtlich nichts im Wege stünde3.

Für die Verordnung wird mit der absurden Annahme argumentiert, man würde durch das Tätigwerden von EU-Beamt*innen in anderen Ländern den eigenen Grundrechtsschutz exportieren. Ihr eigentliches Ziel besteht allerdings darin, Menschen aus Nicht-EU-Ländern abzuschieben bevor sie EU-Territorium betreten.

Stellvertretend dafür verlief die Debatte im Europäischen Parlament, in der kaum die Rede von den Menschenrechten der Geflüchteten war. Dagegen wurde immer wieder die Wichtigkeit der inneren Offenheit der EU betont. Geflüchtete werden somit in unwürdige Lebenssituationen (zurück)gebracht, damit die Unionsbürger*innen frei reisen können.

Die Verordnung ist somit ein neuer Ausdruck einer rassistischen und eurozentristischen Weltanschauung. Auch wenn im Gesetz immer wieder der Einklang mit EU-Recht, internationalem Recht und Menschenrechten beschrieben wird, ist die praktische Anwendung dagegen immanent menschenrechtsverletzend. Die Verabschiedung dieses Gesetzes macht die neue Qualität des Rechtsrucks in der EU sichtbar.

inEUmanity

 

 

2„Das Non-Refoulement Prinzip verbietet die Auslieferung, Ausweisung oder Rückschiebung einer Person in ein anderes Land, falls ernsthafte Gründe für die Annahme vorliegen, dass für die betreffende Person im Zielland ein ernsthaftes Risiko von Folter bzw. unmenschlicher Behandlung oder einer anderen sehr schweren Menschenrechtsverletzung besteht.“ https://www.humanrights.ch/de/service/menschenrechte/non-refoulement/ ; aufgerufen am 7.5.2019

 

 

*English*

Frontex on a new mission: The new regulation thwarts human rights

On 17 April 2019, the European Parliament adopted a new Regulation4 radically reshaping the tasks, power and organizational structures of the European Border and Coast Guard Agency (Frontex). The increased deportation of fugitives, the primary objective of which is laid down in the first article, is Europe’s only and brutal response to the still unresolved “migration issue”.

The initial situation is that from spring 2015 onwards more and more migrants came to Europe to seek protection, better living conditions or future prospects. However, the borders of the Balkan route open by the Schengen Code were practically closed in March 2016 in order to prevent arrivals from reaching the often desired Western European countries. The Non-Refoulment commandment5 not to reject those in need of protection at their own borders is systematically violated in order to take account of the xenophobic shift to the right in the member states. Since then, there has been no forwards, no stays and no backsliding. For the fugitives this is a hopeless and indeed hopeless situation.

A solution in the form of a new European regulation of the Common European Asylum System (CEAS) has been lying idle for a long time because the member states could not reach agreement. So the new regulation is supposed to resolve the “congestion” immediately and in the future.

The core element of Frontex’s new field of activity is to support third countries in deciding on the need for protection of refugees and to organize repatriations in the event of their refusal. In addition, there will be an increase in the staffing and financial resources of the Border Management Agency, as it will be given a more comprehensive remit to implement the measures. In concrete terms, this means an increase in staff to 10,000 (wo)men by 2027 and an increase in the budget for the period 2021-2027 to a total of 34.9 billion euros. Frontex is made up of agency staff (EU officials) and teams seconded from the Member States.

Until now, Frontex has only been active in member states of the Schengen area if a constitutional decision by this state on entry or stay in the country was available. Frontex can now also become active in third countries on its own initiative. Frontex is responsible for the preparation, provision of relevant information and advice on repatriation decisions and their implementation. The repatriation decision is therefore formally taken by the third country, which alone serves to circumvent the European protection of fundamental rights.

Frontex employees have a general authorization to carry out all border controls and measures relating to rejection, which are actually reserved for the respective states, which is an obvious breach of the Schengen Code. Access to an asylum procedure can therefore simply be thwarted. This is also to be expected, as the Member State Teams have no special training to be able to recognize the need for protection of people and the entire restructuring is aimed at preventing the entry of “illegal migrants”.

There is also talk of setting up “early warning systems”. On the basis of EUROSUR data sets and “risk analyzes”, it is to be indicated when large crowds of people set off to cross the border illegally. The teams then have the task of preventing this. The rhetoric of the law thus leaves no doubt about the misanthropy of the whole project.

So-called controlled centers are to be set up to carry out these operations. The text of the law does not say whether they will be open or closed and whether they can also be set up in third countries. It is very likely that the centers in which asylum procedures are to be carried out within eight weeks will be as bad as the Greek and Italian hotspot camps in terms of congestion, miserable living conditions, systematic violations of the law and exclusion from social participation.

A liability gap also means that there is no legal protection for those affected. In third countries, civil servants are subject to directives issued by third countries which are not bound by the EU Charter of Fundamental Rights. Although all states in Europe belong to the ECHR, it does not contain any right to asylum, so that no action can be brought before the ECHR with regard to repatriation. An action before the European Court of Justice to review the legality of Frontex’s actions is impossible for the persons concerned, since the decision was formally taken by a non-EU state and the repatriation took place on its instructions.

In addition, the Regulation provides for the use of force (pepper spray, blows, as a last resort, the use of firearms) as a legitimate means of enforcing the tasks. However, if someone exceeds the limits of the proportionate use of force, criminal proceedings are also excluded: Frontex officials enjoy immunity in the third country, no complaint can be filed in the sending country and there is no European criminal procedure.

Even extrajudicial institutions do not promise any protection: A Commissioner for Fundamental Rights and a complaint mechanism for the prevention and clarification of human rights violations are largely ineffective, as this means a purely internal and thus not independent examination of incidents. When the regulation was adopted, MEPs focused above all on the Balkan countries in order to open up internal European borders. There is no regional restriction, however, so that nothing would stand in the way of application in Libya or Turkey in the future6.

The regulation is argued on the basis of the absurd assumption that EU officials working in other countries are exporting their own standard of protection of fundamental rights. Their real aim, however, is to deport people from non-EU countries before they enter EU territory.

This was exemplified by the debate in the European Parliament, in which there was hardly any mention of the human rights of refugees. On the other hand, the importance of the internal openness of the EU was repeatedly stressed. Fugitives are thus (re)brought into unworthy life situations so that EU citizens can travel freely.

The Regulation is therefore a new expression of a racist and eurocentric worldview. Even though the law repeatedly describes compliance with EU law, international law and human rights, its practical application, on the other hand, is an immanent violation of human rights. The adoption of this law makes visible the new quality of the shift to the right in the EU.

inEUmanity

 

5 “The Non-Refoulement Principle prohibits the extradition, expulsion or return of a person to another country if there are serious reasons for believing that the person concerned is at serious risk of torture or inhuman treatment or other very serious human rights violations in the country of destination. https://www.humanrights.ch/de/service/menschenrechte/non-refoulement/ ; accessed 7.5.2019

6 Further critical points are discussed by ECRE (https://www.ecre.org/an-eu-agreement-on-reform-of-frontex/; https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2018/11/ECRE-Comments-EBCG-proposal.pdf and ProAsyl https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/PA_Zur-Frontex-Verordnung_Stellungnahme.pdf) in a detailed critique.

Familiennachzug und Grundrechte für Alle am 1 und 2. Februar 2019

Am 2.2.19 wird es ab 13:00 eine Demonstration für Familiennachzug und Grundrechte für Alle in Berlin geben. Los geht es um 13:00 am S-Bahnhof Friedrichstraße und die Abschlusskundgebung ist am Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (ca. 7 Minuten Fußweg zum Hauptbahnhof).

Wir sind Unterzeichnerin des Aufrufes und freuen uns über rege Beteiligung. Sowohl bei der Demo in Berlin, als auch am Aktionstag am 1.2.19.

 

Eine gemeinsame Anreise organisieren wir mit dem Zug von Leipzig aus.

Wir treffen uns 9:30 am Hauptbahnhof GLEIS 2 (TIEF!) AM EINGANG, VON DER TRAMHALTESTELLE HER.

Zusammen kaufen wir Wochenendtickets, so dass hin- und Rückreise pro Person nur 13,60 kostet. Falls ihr das Geld nicht habt, sprecht uns an, dann bekommt ihr das von der Initiative.
Der Zug fährt 9:48. Wir werden 12:48 an der Friedrichstraße (Startpunkt) sein.

 

Mehr Infos gibts hier: http://familienlebenfueralle.net/2019/01/update-aktionen-fuer-familiennachzug-und-grundrechte-fuer-alle-am-1-und-2-februar-2019/

Die Facebook Veranstaltung findet ihr hier: https://www.facebook.com/events/2149983148397538/

 

 

*English*

 

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“Ankerzentren” in Germany – Report of taz newspaper

“Ankerzentren” means something like anchor centres. ANKER is the short version of the German words of Arrival, Decision and Backleading. We translated an good article by taz newspaper about those closed camps in Germany. The author is Dinah Riese.

The article in German and English you find here: taz ankerzentren

 

Featured Image of https://www.n-tv.de/politik/Warum-Seehofers-Plaene-umstritten-sind-article20422038.html with copyright from picture alliance / dpa

The role of the parliamentary left facing the EU’s racist policies

Hier ein Text von Nazanin Sepehri und Jon Sebastian Rodriguez Forrest, Aktivist*innen und politische Berater*innen für die Vereinigte Europäische Linke im Europäischen Parlament.
Er beschreibt den aktuellen Umgang der parlamentarischen Linken mit dem gesamteuropäischen Rechtsruck und den damit einhergehenden rassistischen Grenzregimen und Politiken und fordert ein Auftehen aus den bequemen Sesseln der Institutionen und eine explizite Solidarisierung und Zusammenarbeit mit der außerparlamentarischen radikalen Linken. “Das Ziel der Linken kann nicht eine humanere Festung Europa mit einigen wenigen Schutzmaßnahmen für die Menschenrechte sein. Unser Ziel ist es, die Festung zu zerstören.”
Here is a text by Nazanin Sepehri und Jon Sebastian Rodriguez Forrest, Activists and political advisors for the united left in the European Parliament.
He describes the parliamentary left’s current dealings with the European shift to the right and the racist border regimes and policies that go along with it and calls for getting up from the comfortable chairs of the institutions and an explicit solidarity and cooperation with the extra-parliamentary radical left. “The goal of the left cannot be a more humane Fortress Europe with a few human rights’ safeguards. Our goal is to demolish the fortress.”

The role of the parliamentary left facing the EU’s racist policies

The current migration agenda dominating mainstream political discourse in the EU is racist and led by the extreme-right. When the present political term started in 2014 it was only MEPs elected on openly fascist tickets, like Marine Le Pen, who expressed their support to the externalization of borders known as the ‘Australian model’. A model based on sending migrants to detention centres in third countries, which they may have never even set foot on, far away from public scrutiny or human rights guarantees, seemed – and is – an extremist idea which would only be voiced by racists.

Today these ideas are heard from all heads of state, no matter political colour. Deporting as many people as possible, closing off and militarizing borders is the openly declared goal of the EU. This enormous shift towards the right is led by conservatives, liberals and social democrats, the political families that have sustained the EU’s political mainstream for the last decades.

They have turned migration policy into one of the main pillars on which the EU sustains itself. The old neoliberal mantra of “there is no alternative” has passed from imposed austerity policies to also encompass aggressive migratory policies. Most importantly, with this shift they have taken the decision to not challenge the far right politically in one of the areas it exploits the most. Therefore, they allow the racist narrative to spread. In Europe, it is now radical to defend basic human rights and international law such as the Geneva Convention on the Status of Refugees.

Despite this difficult context, there has been a huge movement of solidarity and activism that has once again proved that people can organize and defend what is right despite living in States that lack solidarity and impose unfairness. There has been an unprecedented level of coordination, self-organization and work on a European level, and alliances have been created with activists on the other side of the Mediterranean. Much of it has been done by activists putting their own lives at risk to save others, for example in sea rescue or to stop deportations. These kinds of movements and alliances are of huge importance; they show the potential of the migratory issue to raise awareness on the unfair nature of our nation-state system and create change. The issue has long been discussed by European leftists but needs to be taken more seriously as we resist EU racist policies. Unfortunately, a large part of the parties of the radical left in Europe have been unable to see this opportunity. Particularly in the case of those comfortably sitting in institutions, the leftist movement has been unable to pay the No Borders movement the attention it deserves.

When people on the left ignore what happens outside institutions and decide to put the center of resistance inside parliaments, it is very easy to end up going with the flow. In a time when mainstream discourse is falling into a racist black hole, this means to also shift to the right. The No Borders movements, activists and allies are proving to be the only ones capable of challenging and sometimes even blocking the EU’s racist policies. If instead of being part of them, the left chooses to reach agreements with social democrats or other forces responsible for these policies in the first place, there is only one way to call this: whitewashing the central role of all EU institutions in the construction of this racist model.

This is not to say the left has no place in parliaments or running for elections. On the contrary, our presence there is fundamental to be able to establish alliances with those movements, to obtain information on the policies and make those responsible accountable, and to make our position as heard as possible. It is taken for granted that we must also work on a more technical level, as any small change that will slightly improve someone’s life is positive. Nevertheless, we cannot get lost in the bureaucratic labyrinth and change our political discourse. The goal of the left cannot be a more humane Fortress Europe with a few human rights’ safeguards. Our goal is to demolish the fortress.

Our countries are some of the richest in the planet, and those whose administrations cannot provide a decent standard of living to everyone including migrants are either because of a lack of political will or because of the draconian public spending policies imposed by the EU itself. It is not, as some might argue, the political differences between the three institutions (Council, Commission and Parliament), which have practically identical political majorities. We cannot think we can change policies by participating in this charade of internal power struggles. If we do so, we would merely be whitewashing a system that has a clearly undemocratic and extremely opaque nature.

Therefore, each time a representative of the left speaks about the “refugee crisis” he or she buys into the false idea of massive arrivals we cannot cope with which both the EU and the far right are trying to spread. Each time we present the Dublin Regulation as the solution, we are contributing to the idea of migrants as a burden that must be shared. The Dublin regulation is built on a premise that objectifies non-Europeans, ignoring their positive social and economic contribution to host societies. It also ignores their freedom of movement; forcing them to reside in a certain country; something completely hypocritical and racist in a political construction that prides itself in being an area of, theoretically, free movement.

The idea of people having to register in their first country of arrival (most of the times one impoverished by EU austerity and in which they do not want to remain) and then await to be distributed somewhere else is a policy designed by the richest countries in the EU as a way to keep out as many people as possible. Stripping people of any agency to choose where they wish to seek asylum is a xenophobic idea and cannot be supported by the left. The reality is that people go where they get the best protection or where they have friends or relatives – choices any human being can understand and relate to. Restricting these choices creates unnecessary suffering and enforces the idea that migrants are a burden. Neither Germany nor Sweden were “on the verge of collapse” because of an increased number of people arriving. On the contrary, both countries were “welcoming refugees” and the crisis first began when the countries decided that they will not invest in public spending.

Another extremely problematic concept the left in Europe seems to have incorporated into its basic vocabulary is that of “integration”. It is an idea that essentializes identities, ignoring our own historical realities of diversity and the presence and contribution of non-European people to Europe. Societies and cultures are constructions that have been historically shaped through diversity, and the left cannot be the one defending to preserve them as if they were pieces in a museum. The discourse of integration has been used in order to impose assimilation, force monolingualism on people, or discriminate against those who are perceived as different. The left should rather speak more about inclusion in order to guarantee migrants the same rights as the rest of the population, in particular when it comes to labour rights, education and health care. We know all too well that liberals posing as welcoming migrants are ready to use the opportunity to attack and worsen labour rights for all by enforcing different laws, rules and standards for migrant labour.

It is our responsibility to create an alternative narrative, a narrative based on equality of all people. This new narrative is incompatible with the EU as we know it, and completely incompatible with positioning ourselves in favour of any of the mechanisms of Fortress Europe or its vocabulary. We must stop playing into the power games of governments and EU institutions and learn from the social movements that show us that it is possible to obtain tangible changes in people’s lives through direct action and a radical discourse. This is why we work for a much closer alignment between the movements and alliances on the ground who are successfully resisting Fortress Europe, and the parliamentary left.

The resources of the parliamentary left needs to be used wisely, strengthening our common interests of resisting a capitalist, militarized and racist EU. We need to start the dialogue of the role of global freedom of movement in our political vision, incorporating both the no borders movements and the workers movement. We all share the common goal of a world without exploitation, and we must be able to get together and point at our enemies. These are not foreign workers forced to accept lower fares, but the economic powers who are responsible for exploitation all over the world, create the situations that force people to flee their countries, and profit from the fruitful business of closing the borders.

Today the radical left is the only space of resistance against externalization of borders and refoulement, against deportations, and against the militarization of our borders and seas. If we are unaware of the intrinsic value of these positions, rather than just understanding them as a negotiating point, we risk moving away from them forever.

Nazanin Sepehri

Jon Sebastian Rodriguez Forrest

 

 

 

Our German translation/ Unsere deutsche Übersetzung:

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Workshop: Fluchtursachen global? Was hat das mit der EU zu tun?

*English below*

 

Unser Workshop im Rahmen der Kritischen Einführungswochen an der Uni und HTWK Leipzig war mit interessierten und engagierten Teilnehmer*innen sehr gut besucht. Die Diskussion war sogar so spannend, dass wir auf dem Innenhof weiter diskutierten, nachdem wir aufgrund von Feuerarlarm unseren Raum verlassen mussten.

 

Hier sind die Texte, mit denen wir in den Kleingruppen gearbeitet haben: Was hat das mit der EU zu tun?!

 

Die ausführlichen Texte findet ihr hier: https://ineumanity.noblogs.org/workshop-fluchtursachen-global-was-hat-das-mit-klima-zu-tun/

 

Wir freuen uns auf weitere Veranstaltungen bei der KEW! Schaut doch einfach mal beim Couchcafé vorbei, um Infomaterial zu bekommen und nette Gespräche zu führen!

 

 

Our Workshop “global causes of fleeing! What it has to do with the EU?” was well visited by many interested and dedicated people. It was so interesting that we continued the discussion in the outside after we had to leave our room because of a fire alarm. On the blog you find the articles we have worked with.
We are looking forward to the other events we have in the Kritische Einführungswochen at the Uni Leipzig. Just come around at the couchcafe for information material and nice talks!

 

Antirassistische Kritik am neuen sächsischen Polizeigesetz, Kapitalismus, Staat und Grenzen

“Befreiung als einzige Alternative

Kein Polizeigesetz der Welt kann uns die Freiheit schenken, nach der wir suchen
– eine Gesellschaft ohne Diskriminierung, ohne Abwertung von Menschen, ohne
Grenzen. Wir sind gegen die geplanten Reformen, ohne für die Erhaltung des
Status Quo zu sein.”

 

Zusammen mit unseren Friends von Kriminell ist das System – Nicht wir /CopWatch LE (www.copwatchleipzig.home.blog) haben wir eine antirassistische Kritik am neuen sächsischen Polizeigesetz, Kapitalismus, Staat und Grenzen geschrieben.

Dies entstand aus der inhaltlichen und organisatorischen Mitarbeit unserer Gruppen in der linksradikalen Fraktion #keinpolizeigesetz (www.keinpolizeigesetz.noblogs.org) des Großbündnisses #polizeigesetzstoppen (www.polizeigesetz-stoppen.de).

 

hier geht’s zum PDF: AntiraSachsPolfinal

Workshop: Fluchtursachen Global! Was hat das mit Klima zu tun?

Auf dem diesjährigen Klimacamp in Pödelwitz haben wir einen Workshop mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik und Klimagerechtigkeit gehalten.

Hier der Link zum Blog: https://www.klimacamp-leipzigerland.de/en/climate-camp-leipzig-land-2018/

Ca. 35 interessierte Menschen waren da und es hat uns super viel Spaß gemacht mit Menschen ins Gespräch darüber zu kommen, wie man antirassistische Politik und Kämpfe um Klimagerechtigkeit besser verbinden kann. Sowohl inhaltlich als auch strategisch. Motiviert dadurch werden wir den Workshop auch noch mal anbieten.

 

Hier zunächst das Konzept des Workshops und unten geht es zu den Texten. Auch haben wir die Talkshow mit hochgeladen. Diese konnten wir aus Zeitgründen nicht darbieten und entschieden uns dazu die angeregte Diskussion und dem Austausch über die gelesenen Texte mehr Raum zu geben.

 

Titel des Workshops: Fluchtursachen Global! Was hat das mit Klima zu tun?

Englisch: Causes of fleeing. A global perspective on climate and migration.

 

Konzept

Die grundlegenden Lernziele des Workshops sind, dass sich die Teilnehmenden kritisch mit globalen Fluchtursachen auseinandersetzen und Wissen zu den komplexen Zusammenhängen von Flucht und Migration erlangen. Über den Begriff der Klimagerechtigkeit soll es den Teilnehmenden ermöglicht werden Wissen über Klima und ökologische Veränderungen mit Wissen über Fluchtursachen zusammenzudenken und davon ausgehend in eine Diskussion zu kommen wie Kämpfe um Bewegungsfreiheit mit Kämpfen um Klimagerechtigkeit zusammengedacht werden können.

 

Der Workshop ist aufgeteilt in vier Einheiten.

Im ersten Teil werden die Teilnehmenden in Kleingruppen mit Material [Text, Bild und Video] zu Fluchtursachen arbeiten. Dabei sollen die Teilnehmenden selbstständig Wissen zu einzelnen Fluchtursachen erarbeiten und diese dann in Zusammenhang setzen zu historischen Bezügen [Kolonialismus], zu politischen Kräfteverhältnissen [europäische Handelspolitik und Einflussnahmen] und zu widerständigen Strategien [Migration trotz Abschottung, selbstbestimmte Entwicklung]. Es wird voraussichtlich Gruppen geben zu Fluchtursache Krieg, Armut, Diskriminierung und Verfolgung, Ökologische Katastrophen, Perspektivlosigkeit.

Im zweiten Teil werden die Ergebnisse aus den Kleingruppen zusammengetragen und visualisiert. Die Kleingruppen werden sich gegenseitig ihre Ergebnisse vorstellen und es erfolgt ein moderiertes Clustern der Informationen, mit der Betonung auf, welche Rolle spielen Interessen des globalen Nordens bei der Produktion von Fluchtursachen historisch und aktuell und welche widerständige Praxen gibt es dagegen schon.

Im dritten Teil erfolgt eine Vorstellung der Bewegung Via Campesina International Peasants Movement an Hand eines dargestellten TV Panels. EU-Abgeordnet*e, Vertreter*in der Bewegung und Moderator*in treffen sich und sprechen über die Arbeit der Organisation und die Begriffe Klimagerechtigkeit und Fluchtursachen.

Im vierten Teil sollen die Teilnehmenden selber ins Gespräch kommen. Mit Hilfe einer Fishbowl Diskussion sollen Standpunkte ausgetauscht werden und das gelernte in Bezug zu einer aktivistischen Perspektive gesetzt werden. Als Hilfestellungen gibt es einige mögliche Leitfragen: Was können wir von der Bewegung Via Campesina lernen? Was versteht ihr unter Klimagerechtigkeit? Wie können wir die Erkenntnisse über Fluchtursachen aktiver in unsere Kämpfe um Klimagerechtigkeit einbeziehen? Was sind mögliche Schwierigkeiten bei der Verbindung von Kämpfen um Bewegungsfreiheit mit Kämpfen um Klimagerechtigkeit?

Gerahmt wird das Konzept von einer Einführung, einer Vorstellungsrunde und einer Abschlussrunde.

 

Texte

Gruppe 1: Fluchtursache Krieg

Deutsch: Gruppe 1 – Fluchtursache Krieg

Englisch: Group 1 – Root Cause War

 

Gruppe 2: Fluchtursache Armut und Perspektivlosigkeit

Deutsch: Gruppe 2 – Fluchtursache Armut und Perspektivlosigkeit (2)

Englisch: Group 2 – Root Cause Poverty and MissingPerspectives

 

Gruppe 3: Fluchtursache Klimawandel

Deutsch: Gruppe 3 – Fluchtursache Klimawandel

 

Gruppe 4:  EU-Handelspolitik

Deutsch: Gruppe 4 – Fluchtursache EU

Englisch: Group 4 – Root Cause EU

 

Gruppe 5: Diverse Fluchtursachen und antirassistischer Aktivismus

Deutsch: Gruppe 5 – Fluchtursachen Divers

 

 

Talkshow: Einführung in die Bewegung “La via campensia” und die widersprüchliche Politik der Europäischen Union

talkshow

Zusammenfassung und Reflexion der Veranstaltungsreihe EUROPE IS FOR EVERYONE

Das Ziel unserer Veranstaltungsreihe war die Einflussnahme und das Handeln der EU zu thematisieren, indem die Zusammenhänge zwischen Fluchtursachen, Abschottungspolitik und europäischer Wirtschaftspolitik aufzeigt wurden. Dafür hatten wir Referent*innen eingeladen, die an einigen Beispielen deutlich gemacht haben, inwiefern die EU immer wieder daran beteiligt ist koloniale Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten, Menschen, die fliehen und migrieren, gewaltsam von den europäischen Zentren fernzuhalten und dieses Handeln immer wieder durch den Mythos der friedensstiftenden EU zu legitimieren. 

I. Ursachen

Im ersten Themenblock haben wir uns auf Fluchtursachen konzentriert. Krieg, Umweltzerstörung und Perspektivlosigkeit können nicht nur lokal, sondern müssen in ihren globalen Zusammenhängen verstanden werden. Daher war uns wichtig, die Rolle der europäischen Staaten als globale Akteurinnen stärker in den Fokus zu rücken. Nicht nur die Rolle, welche die europäischen Staaten durch ihre aktuelle Politik einnehmen, sondern auch die damit verbundene Kontinuität kolonialer und imperialer Machtpolitik aufzuzeigen. Zugleich wollten wir beleuchten, welches die Gründe sind, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Globale Ungerechtigkeit und imperiale Ausbeutungsstrukturen beruhen auf patriarchal-rassistischen Herrschaftsverhältnissen, die im gesamten überwunden werden müssen. Referent*innen zu diesem Thema waren Olaf Bernau vom transnationalen Netzwerk „afrique-europe-interact“ (https://afrique-europe-interact.net/) und die freie Journalistin Arlette-Louise Ndakoze.

Olaf Bernau verdeutlicht politisch-ökonomische Macht- und Dominanzverhältnisse, anhand von lokalen Kämpfen in verschiedenen afrikanischen Ländern. Er erzählt von seinen Erfahrungen aus der politischen Praxis und geht auf Chancen, Herausforderungen und Fallstricke bei der Zusammenarbeit von afrikanischen und europäischen Basisbewegungen ein. Damit liefert er einen wichtigen Anstoß zur Reflexion unserer Position und Privilegien als überwiegend weiße Aktivist*innen.

Anette-Louise Ndakoze stellt Wirtschaftsbeziehung in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Dabei erläutert sie eingehend, welche Verträge und Vereinbarungen in den letzten Jahren getroffen wurden und dass diese einen krassen Bruch zu den Bestrebungen afrikanischer Staaten darstellen, unabhängiger vom Weltmarkt zu werden um die eigene Wirtschaft zu stärken. Bestrebungen hin zu regionalen Wirtschaftsgemeinschaften und der Versuch, Produktionsketten weitestgehend innerhalb des afrikanischen Kontinents zu halten, wurden durch Freihandelsverträge, insbesondere den „compact with Africa“ begegnet. Ziel der EU ist dabei offensichtlich nicht die Stärkung der afrikanischen Wirtschaft, sondern die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für Investitionen von Unternehmen der EU-Mitgliedstaaten. Menschen- und Völkerrechtliche Vereinbarungen finden keine Beachtung innerhalb dieser Abkommen, was den Verdacht auf ein Abkommen rein wirtschaftlicher Dimension bestärkt. Ein gutes Beispiel für die Schaffung neuer Absatzmärkte sind Rüstungsverträge zwischen EU- und afrikanischen Staaten, die europäische Unternehmen Gewinne in Milliardenhöhe versprechen.

II. Auswirkungen

Der zweite Block drehte sich um die Bedeutung des Begriffes „Festung Europa“. Als Symbol für die gefahrene Strategie der Abschottung ist sie allerdings keine Neuheit. Die damit sofort assoziierten Grenzzäune sind nicht im sogenannten „Sommer der Migration“ 2015 plötzlich aus dem Boden geschossen. Vielmehr umfasst der Begriff die breitflächig angelegte und geförderte Afrika-EU Politik, im Rahmen derer die EU schon seit langem in Form unterschiedlichster Verträge, Gesetze und technologischer Neuheiten ein komplexes System von Regelungen und Absprachen zur Realisierung der Abschottung aufgebaut hat. Welche Strategien und Systematiken sich in den letzten Jahren herausgebildet haben, war also zentrale Fragestellung dieses Themenblocks. Zu dieser Thematik haben taz-Redakteur Christian Jakob und das Informationszentrum für Militarisierung Vorträge gehalten.

Christian Jakob stellte einige Passagen aus dem Buch „Diktatoren als Türsteher Europas“ vor, welches das Ergebnis gemeinsamer Recherchearbeit innerhalb eines Projekts der TAZ (https://migration-control.taz.de) ist. Dabei beschreibt er sehr eindrücklich, wie die EU durch ihre Deals und Absprachen mit Machthabern afrikanischer Staaten aus den bis dahin weitestgehend nur auf Papier existierenden Grenzen durch Ausbildung und Ausrüstung von Grenzschützertruppen und der Errichtung von Grenzkontrollposten physische Grenzen aufbaut bzw. aufbauen lässt. Dabei erläutert er anhand vieler Beispiele, wie sich diese Politik der Abgrenzung im konkreten auf das Alltagsleben der Bevölkerung auswirkt, indem durch Enteignung die Lebensgrundlage vieler Familien und Dörfern zerstört wird. Durch die Umleitung von Fluchtrouten wird die Gefahr, in der Sahara umzukommmen, enorm steigert und billigend in Kauf genommen. Auch geraten Flüchtende dadurch in die völlige Abhängigkeit von Menschen, die deren hilflose Lage ausnutzen. Zudem geht er darauf ein, in welcher Weise die Abschottungspolitik einen extrem lukrativen, neuen Mark eröffnet. Rüstungskonzerne machen durch die Ausstattung der Grenzschutzeinheiten zum einen enormen Umsatz und können diesen Markt zudem zur Erprobung neuer Gerätschaften und Technologien nutzen. Hier schlägt sich also wieder die Brücke zum ersten Teil.

Jackie von der Informationszentrum für Militarisierung stellte die Instrumente zur Bekämpfung von Fluchtursachen, wie z.B. der EU Emergency Trust Fonds for Africa, vor. Dass dahinter neoliberale und auf “Sicherheit” pochende Politik der EU steckt, erläutert sie anschaulich. Anhand der nordafrikanischen Staaten Ägypten und Tunesien analysiert sie exemplarisch, welche Rolle die EU und die Bundesregierung in der Gestaltung der dortigen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten spielen.

III. Interessen

Der dritte Themenblock beschäftigte sich mit den Interessen, welche hinter dieser Politik stehen. Geht es darum, dem aus der zunehmenden Prekarisierung folgenden Rechts(d)ruck weiter Bevölkerungsteile und den daraus resultierenden Feindbildern entsprechend zu agieren? Wie kommt es, dass Migrant*innen zum Feind stigmatisiert werden, obwohl die offensichtlichen Ursachen für Ungleichheit und Ungerechtigkeit nicht aus der Sozialpolitik, sondern gerade aus der unbeschränkten Macht des Kapitals resultiert? Ist dies ein grundlegender Bestandteil neoliberaler Politik? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen gaben die Beiträge von Fabian Georgi, der gerade zur Stellung von Migrations- und Grenzregimen im Kapitalismus habilitiert, und Patrick Schreiner, Gewerkschafter und Publizist, interessante Denkanstöße.

Fabian Georgi zeigt auf, welche Ursachen-Bedingungs-Zusammenhänge bestehen und schlüsselt Prinzipien und Logiken durch Betrachtung im Gesamtzusammenhang auf. Er erläutert, dass regulierende Migrationspolitik notwendig ist, um über Instabilität und Krisen des Kapitalismus hinwegzuhelfen, um das System aufrecht erhalten zu können. Ein Grundprinzip des Kapitalismus ist der Wettbewerb, welcher ein „immer Mehr“ voraussetzt. Dies führt zu Landgrabbing und Ressourcenausbeutung, welche in afrikanischen Staaten zu Ursachen von Flucht werden. Offene Grenzen würden zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse führen, welche unvereinbar mit der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems wäre. Er geht auch darauf ein, welche Rolle Rassismus und Nationalismus innerhalb dieses Systems spielen. Nationalismus ist notwendig, um durch die dadurch implizierte Indentitätsbildung über die Missstände des Kapitalismus hinwegzutäuschen. Dieser setzt die Ausgrenzung anderer als der eigenen Staatsbürger*innen voraus. Zur Rechtfertigung der Ausgrenzung und der Aufrechterhaltung der Ungleichheit dient Rassismus. Dies geschieht, indem die Unterscheidung von Menschen aufgrund äußerer, unveränderbarer Merkmale eine Art irrationale Welterklärung für die ungleiche Verteilung von Privilegien darstellt und deswegen „natürlich“ nicht angetastet werden darf. Durch den Vortrag und seine materialistische Kritik am Grenzregime werden viele systemimmanente, sich gegenseitig bedingende Faktoren und Wirkketten deutlich.

Das Ziel des Vortrages von Patrick Schreiner war, die Verknüpfung und Wechselwirkung von Neoliberalismus und Rassismus herzustellen. Zunächst gab es eine kleine Einleitung zu den zentralen Begriffen. Die Entwicklung(sgeschichte) von Neoliberalismus wurde skizziert und im weiteren auf die ideologischen Schnittmengen eingegangen: Autoritarismus, Antirationalismus, Genese sozialer Struktur, Legitimation von Ungleichheit (u.a. durch Rassismus, aber auch durch Geschlechterverhältnisse) und die Identitätsbildung. Mit Zitaten von Theoretiker*innen dieser Denkweisen (z.B. Hayek, Rand, Darwin und Sarrazin) verdeutlichte er die neoliberale Logik von Leistungszwang, Selbstoptimierung und soziale Hierarchisierung. Dies verursache den Affekt von Machtlosigkeit, Nicht-genügen-können, Überforderung und Unsicherheit. Nur wird dies durch einige Teile der Gesellschaft nicht durch Solidarität, alternativem Wirtschaften und Selbstorganisation und der Abkehr von Kapitalismus beantwortet, sondern durch die Hinwendung zu Bewegungen und Parteien, die Ungleichheiten auf rassistischer Basis aufrecht erhalten wollen. Diese bedienen sie sich einer biologistischen, kulturellen/ethnopluralistischen und sozialchauvinistischen Argumentation, um identitätsstiftendes Überlegenheitsdenken zu legitimieren.

IV. Kämpfen

Unzählige und notwendige Analysen sind über den Aufstieg der sog. Neuen Rechten geschrieben wurden, aber um kurz darauf einzugehen, warum wir genau dies als Baustein für unsere Veranstaltungsreihe, in der es ja um Fortress Europe und die europäische Handels-, Außen- und Migrationspolitik geht, brauchen: Die Verschärfung des europäischen Asylsystems (GEAS) ist nicht nur die Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich von humanistischen Werten entfernt. Sie ist vor allem eine system-notwendige Reaktion auf soziale Bewegungen (Migrationsbewegungen), die sich auf rassistischen Diskriminierungs- und Ausbeutungsverhältnissen begründet. Diese ist absurderweise das Resultat einer durch „Neoliberalisierung“ der Welt geschaffene globale Ungleichheit. Instrumente wie Sturkturanpassungsprogramme und Privatisierung haben zum Abbau sozialstaatlicher Prinzipien und zur Abhängigkeit und Verarmung weiter Teile der Bevölkerung geführt. Dass dies zu lokalen Konflikten um geopolitisch wichtige Regionen und begrenzte Ressourcen (Wasser, Öl, Weideflächen) führt und viele Menschen zur Flucht zwingt, ist nur logische Konsequenz. Grenzen zu schließen, Mauern zu bauen, Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken zu lassen und wieder abzuschieben ist die Antwort der Nationalstaaten, die für die strukturelle Ungleichheit verantwortlich sind. Probleme und Krisen des Kapitalismus werden „weg“verwaltet und „weg“reguliert. Nur in diesem Kontext lassen sich die neuen Asylgesetze verstehen. Unter Fluchtursachenbekämpfung ist Abschottung und die Verweigerung essentieller Ressourcen zur Abschreckung allerdings nicht zu fassen.

InEUmanity hat zwar als ein Projekt begonnen, dass gegen erneute Asylrechtsverschärfungen kämpft, jedoch geht es nicht nur um die Skandalisierung einzelner Normen und Mechanismen der neuen Gesetze. Vielmehr wollen wir dadurch eine intersektionale Kritik am Kapitalismus und der diesen tragenden Institutionen (wie bspw. der EU) üben und darauf aufmerksam machen, welche fatalen Folgen das für individuelle Lebensgeschichten haben. Rassismus, historisch als notwendiger Pfeiler des Kapitalismus gewachsen, findet seine Auswirkung genau in dieser Gesetzgebung, wie auch in der alltäglichen Ausgrenzung und Abwertung.

Wir blicken auf die Vortragsreihe sehr positiv zurück. Die gut besuchten Veranstaltungen, kompetenten und motivierenden Referent*innen und ihre Inputs, sowie die interessanten Diskussionen im Anschluss haben uns in der Auseinandersetzung mit unserer politischen Praxis sehr weiter geholfen. Dies vertieften wir in einem Strategie-Workshop zu Herausforderungen antirassistischer politischer Arbeit, in dem wir in Kleingruppen und Plenum zu folgenden Themenfeldern diskutierten: In welchem Verhältnis stehen wir zu staatlichen Strukturen? Was sind Herausforderungen und Chancen konkreter Supportarbeit? Welche Aktionsformen können wir nutzen, um unsere Inhalte zu transportieren?

So werden wir, mit einem stärkeren theoretischen Unterbau, unseren Kampf gegen das System Kapitalismus und die aktuellen Politiken der Ausgrenzung fortsetzen. Auf weitere spannende Debatten, Analysen und Projekte. Wir stellen einen Gegenentwurf von einer Gesellschaft vor, die ihr System nicht von anderen abgrenzen will, sondern sie gemeinsam gestalten will. Ein Europa und eine Welt für alle. Emanzipatorisch, antifaschistisch und antinational.

Hier geht’s zum PDF: Zusammenfassung VA

Aktuelle Entwicklung des Asylrechts in Europa und Deutschland – 26.07.2018

Aktuelle Entwicklung des Asylrechts in Europa und Deutschland – 26.07.2018

Eine Zusammenfassung von Buckel/Pichl: Europa: Politik der Lager, in BLÄTTER 8/18

 

In den letzten Wochen hat sich sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene in Bezug auf die Asyl- und Migrationspolitik viel bewegt.

Einen sehr empfehlenswerten Artikel von Sonja Buckel und Maximilian Pichl in BLÄTTER 8/18 wollen wir daher heute für euch zusammenfassen:

Der Asylstreit zwischen CDU und CSU, der mal wieder zeigt wie verroht die Debatte um den Umgang mit Fluchtbewegungen und von ihr Betroffene und wie gesellschaftsfähig offener Rassismus ist, zeigt dabei die gleiche Stoßrichtung wie der EU-Gipfel am 28.06.2018i. Zugeständnisse an autoritär-nationalistische Wortführer wie Kurz (Österreich), Orbán (Ungarn), Salvini (Italien) und Seehofer (BRD) sind dabei sowohl die Einrichtung von mehr Lagern zur Internierung und Immobilisierung von Geflüchteten sowie Abschottung und Aufrüstung.

Erneut wurde auch die Behandlung der Reform des GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) verschoben. Kaum transparent steckt das Verfahren seit Anfang 2016 in einer Schleife von Entwurf-Gegenentwurf-Uneinigkeit und lässt erkennen, dass die überwiegend rechtskonservativ geführten Regierungen sich nicht mit dem Parlament auf eine adäquate Neuregelung für ein funktionierendes Asylsystem einigen können. Ihre Reaktion darauf sind (wie bei Seehofer gut gesehen werden kann) nationale Alleingänge und das Drängen auf faktische Maßnahmen wie Abschottung und Lagerbau, am Parlament vorbei.

Schon lange leiden vor allem die Staaten an der EU-Außengrenze unter der überproportionalen Verantwortung von Ankommenden. Doch auch nach aktuellem Stand der Dublin IV Regelung soll dies nicht behoben werden. Auch auf dem Gipfel geht die Tendenz zur „freiwilligen Aufnahme“ von Geflüchteten, zur Freude aller Abschotter.

Anstatt Verantwortung für die Ursachen der Fluchtbewegung wie die neokoloniale Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden zu übernehmen, ist das erklärte Ziel, so viele Menschen wie möglich vom europäischen Festland und Asylschutz fernzuhalten. Zentrales Element sind dabei die Errichtung und der Ausbau von Lagern und Frontex – Abwehr von Geflüchteten um jeden Preis. Und dieser wird mit dem Aufgeben rechtsstaatlicher Grundsätze bezahlt. Europäisches Asyl- und Migrationsrecht und der Grundrechteschutz gilt (eigentlich) sobald jemand* europäisches Territorium betritt. Doch Lager sollen zu Räumen werden, in denen das Recht nicht mehr anwendbar sein soll.

 

Es gibt 4 verschiedene Typen von Lagern:

1. „kontrollierte Zentren“ an EU-Außengrenzen

Diese ähneln den Hots-Spots, die es schon seit 2015 auf den griechischen Inseln gibt. Dort wird das komplette Asylverfahren durchlaufen und bei Ablehnung direkt von dort abgeschoben. Viele EU-Mitgliedstaaten weigern sich Geflüchtete von dort aufzunehmen und auch die Bundesregierung verzögert die versprochene Familienzusammenführung.

2. Transitlager an EU-Binnengrenzeii

Die SPD verhinderte zwar geschlossene Haftanstalten an der bayrisch-österreichischen Grenze, wie sie von Seehofer gefordert wurden, jedoch akzeptiert sie die im Vorschlag enthaltene „Fiktion zur Nichteinreise“. Ankommende werden in grenznahe Einrichtungen der Bundespolizei oder in den Transitbereich des Münchener Flughafens gebracht. Wie auch beim sog. Flughafenverfahren „werden sie der rechtlichen Fiktion unterworfen, nicht nach Deutschland eingereist zu sein.“.iii Dies verwehrt den Zugang zu ordentlichen Asylverfahren und anwaltlicher Unterstützung.

3. „regionale Ausschiffungsplattformen“ in Drittstaaten

Anstatt nach Europa, wie es geltendes Recht fordert und vom EGMR 2012 entschieden wurde (Verbot der Kollektivausweisung und Recht auf wirksame Beschwerde), sollen Geflüchtete, die aus Seenot gerettet wurden, in EU-finanzierte Lager in (Nord)Afrika gebracht werden, um dort ihre Asylanträge zu stellen. Der UNHCR und IOM sollen für die Einhaltung von internationalem Recht sorgen, was aufgrund fehlender europäischer Gerichte und Asylrechtsanwält*innen in bspw. Libyen, Algerien, Mali und Niger an Absurdität kaum zu übertreffen ist. Die Staaten, die sich (noch) gegen solche Lager an den „Knotenpunkten auf den Fluchtrouten“ stemmen, sollen mit Zahlungen in Höhe von 500 Mio. Euro an den „Trust fund for Africa“ gefügig gemacht werden.

4. Internierungslager in Drittstaaten

Schon in Mauretanien und Libyen gibt es ähnliche Lager, die von afrikanischen Regierungen betrieben, aber von der EU finanziell und durch Ausbildung unterstützt werden. So bspw. Die libysche Küstenwache durch die EU-Marinemission „Sophia“. Bekannt ist, dass in diesen „Folter und sexualisierte Gewalt vorherrschen und von dort aus Sklaverei organisiert wird“.iv

 

EU-Kommissar Avramopoulos kündigt zudem an, dass es bis 2020 eine echte Grenzschutzpolizei mit 10.000 Beamt*innen geben soll.

 

Der Artikel von Buckel und Pichl schließt damit, die aktuelle Entwicklung in einen rassistischen und kolonialen Kontext zu stellen, indem sie analysieren, dass Geflüchtete als „Andere“ konstruiert werden. „Denn eine Politik, die rhetorisch auf Abwertung und Entmenschlichung setzt, verändert die Grundlagen des alltäglichen Zusammenlebens und wird den Rassismus in der EU verstärken.“

Dem und der Aufforderung, sich gegen die unmenschliche Politik und das Vordringen rechter und nationalistischer Kräfte zu stellen, schließen wir uns gern an. Wir werden nicht müde die EU für diese Praxis zu kritisieren und dem einen Gegenentwurf von Solidarität entgegen zu stellen.

Umso wichtiger ist es, Betroffene und ihre Kämpfen zu unterstützen. Zur Zeit machen Women* in Exil eine Tour durch Deutschlandv, um auf die speziellen Probleme von geflüchteten Frauen* aufmerksam zu machen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Außerdem formiert sich gerade die Deutschlandweite Kampagne Seebrücke, um auf die Folgen der Abschottungspolitik hinzuweisen.

 

United we stand, united we fight: Europe is for everyone! Fight Fortress Europe!

 

Zum PDF geht’s hier: pichl_buckel zsmf

 

iAbschlussdokument EUCO 9/18 vom 28.06.2018, Brüssel
https://www.parlament.gv.at/PAKT/EU/XXVI/EU/02/85/EU_28586/imfname_10824317.pdf

iihttps://verfassungsblog.de/die-fiktion-der-souveraenitaet-in-transitzentren-was-ist-eigentlich-mit-der-orbanisierung-europas-gemeint/

iiihttps://verfassungsblog.de/die-fiktion-der-nichteinreise-ist-ein-instrument-der-entrechtung/

ivhttps://www.zeit.de/politik/ausland/2017-12/fluechtlinge-eu-westafrika-menschenrechte-schlepper-fluechtlingspolitik

vhttps://www.women-in-exile.net/

 

 

Zum PDF geht’s hier: pichl_buckel zsmf

 

 

Reader *Festung Europa – Eine Analyse von Migration und Grenzregime*

 

Mit diesem Reader wollen wir die Einflussnahme und das Handeln der EU thematisieren, indem wir die Zusammenhänge zwischen Fluchtursachen, Abschottungspolitik und europäischer Wirtschaftspolitik aufzeigen. Dafür haben wir Texte ausgesucht, die an einigen Beispielen deutlich machen, inwiefern die EU immer wieder daran beteiligt ist koloniale Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten, Menschen, die fliehen und migrieren gewaltsam von den europäischen Zentren fernzuhalten und dieses Handeln immer wieder durch den Mythos der friedensstiftenden EU zu legitimieren.

Dieser Reader soll ein Anstoß sein, neben praktischer Solidarität und konkreter Unterstützung für Betroffene auch die grundsätzlichen Zusammenhänge der europäischen Migrationspolitik zu analysieren und zu kritisieren. Diese Analyse liefert die Erkenntnis, dass der Kampf um Bewegungsfreiheit untrennbar ist von einem Kampf gegen Rassismus, Nationalismus und Kapitalismus.