Neuerungen durch die Dublin IV Verordnung [de]

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Der folgende Text stellt einen großen Teil derNeuerungen des Asylrechts, welche durch die Dublin-IV-Verordnung bestimmt werden, dar. Grundlage ist die deutsche Fassung desVorschlags COM(2016) 270 der Europäischen Kommission vom 4. Mai 2016 , besser bekannt als Dublin-IV-Vorschlag (Download ineumanity.eu / ipex.eu / weitere Sprachen).


Der Text ist nach den veränderten bzw. hinzugefügten Artikeln und Absätzen gegliedert:

  • Art. 2g Erweiterung des Familienbegriffs
  • Art. 3 Abs. 3 Unzulässigkeitsverfahren
  • Art. 4 Abs. 2/Art. 5 Abs. 4 Frist für das Einreichen von Dokumenten
  • Art. 5 Abs. 3 Einschränkung sozialer Leistungen
  • Art. 6 Abs. 1 Informationen, über die Geflüchtete unterrichtet werden müssen
  • [Art. 8 Abs. 3b Keine Prüfung der Hintergründe unbegleiteter Minderjähriger]
  • Art. 8 Abs. 4 Abschiebung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter
  • Art. 9 Abs. 1 Einmalige Kriterienprüfung
  • Art. 10 Abs. 5 Wegfallender Minderjährigenschutz in nichtzuständigen Staaten
  • Abschaffung der Zuständigkeitsübertragung/Artikel 19 Dublin III
  • Art. 19 Einschränkung des Selbsteintrittsrechts
  • Art. 20 Abs. 1e Ausweitung der Rücküberstellungsmöglichkeiten
  • Art. 20 Abs. 4 Stark eingeschränkte Prüfung auf Asyl nach Sekundärmigration
  • Art. 20 Abs. 5 Kein Rechtsbehelf für rücküberstellte Geflüchtete
  • Art. 24 Abs. 1 Abschiebung aus nichtzuständigen Mitgliedsstaaten
  • Art. 26 Wiederaufnahmemitteilung
  • Art. 27 Abs. 4 Abschaffung des Rechts auf aufschiebende Wirkung
  • Art. 28 Abs. 2 Frist der Möglichkeit auf Rechtsbehelf für Geflüchtete
  • Art. 28 Abs. 4 Beschränkung des Rechtsbehelfs
  • Art. 30 Abs. 2 Umgang mit ungerechtfertigter Abschiebung
  • Art. 34 Abs. 2 Korrekturmechanismus: Referenzzahl
  • Art. 35 Abs. 2 Korrekturmechanismus: Referenzschlüssel
  • Art. 36 Abs. 1 Korrekturmechanismus: Übertragung der Zuständigkeit
  • Art. 37 Abs. 1/3 Korrekturmechanismus: „Finanzielle Solidarität“
  • Mitteilung der Kommission Haft und Leistungsentzug

Artikel 2g: Erweiterung des Familienbegriffs

Der Familienbegriff wurde um die Geschwister des*der Geflüchteten erweitert. Nach der Flucht entstandene Familienzusammenhänge, z.B. Ehe, werden nun berücksichtigt.

Artikel 3 Absatz 3: Unzulässigkeitsverfahren

Vor jeder Zuständigkeitsprüfung findet nun ein Unzulässigkeitsverfahren statt; d.h. es wird geprüft, ob ein*e Geflüchtete*r in ein „sicheres Herkunftsland“ bzw. einen „sicheren Drittstaat“ bzw. in den ersten EU-Mitgliedsstaat abgeschoben werden kann. Der erste EU-Mitgliedsstaat,
in welchem sich ein*e Geflüchtete*r aufhält, ist in der Regel der zuständige Mitgliedsstaat. Die Möglichkeit dieser Prüfung war bisher schon gegeben, ist ab jetzt jedoch zwingend durchzusetzen und vorrangig zu behandeln. Schutzvorschriften, z.B. die der Familienzusammenführung, sollen nicht mehr vorrangig vor der Abschiebung in einen Drittstaat sein; d.h. das Grundrecht auf Schutz der Familie ist nicht mehr gegeben.
Artikel 4 Absatz 2 / Artikel 5 Absatz 4: Frist für das Einreichen von Dokumente
Dokumente, die für den Asylantrag notwendig sind, können nur innerhalb einer bestimmten Frist eingereicht werden. Diese Frist läuft nach der ersten Anhörung im zuständigen Mitgliedsstaat aus; später Dargelegtes wird nicht beachtet.
Artikel 5 Absatz 3: Einschränkung sozialer Leistungen
Die Weiterwanderung innerhalb der EU wird sanktioniert. Hält sich ein*e Geflüchtete*r nicht im Staat der Zuständigkeit auf, werden ihm*ihr soziale Leistungen und medizinische Hilfe verwehrt. Nur medizinische Notversorgung in Ausnahmefällen wird gewährt. Die Ansprüche nach Artikel 14-19 entfallen; diese sind die Beschulung von Minderjährigen,
der Zugang zum Arbeitsmarkt, materielle Leistungen und Unterbringungen.
Artikel 6 Absatz 1: Informationen, über die Geflüchtete unterrichtet werden müssen
Die zuständigen Behörden müssen eine*n Geflüchtete*n über folgendes unterrichten:

  • 1a) Zum internationalen Schutz, welche Geflüchtete laut Verordnung haben, gehört nicht die Wahlmöglichkeit des zuständigen Staates.
  • 1b) Antragsteller*innen haben nur im zuständigen Mitgliedsstaat Anspruch auf Aufnahmebedingungen, mit Ausnahme der medizinischen Notversorgung.
  • 1d) Antragsteller*innen müssen ihre Angaben über Familie und Verwandte in EU-Staaten belegen. Es reicht nicht mehr aus, anzugeben, dass es dort Familie oder Verwandte gibt.
  • 1e) Geflüchtete haben die Möglichkeit auf Rechtsbehelf innerhalb von sieben Tagen nach der Überstellungsentscheidung (siehe Artikel 28 Absatz 2); dieser beschränkt sich aber nur auf die Prüfung von Verstößen gegen Artikel 3 Absatz 2 (Zuständigkeit) bzw. auf die in Artikel 28 Absatz 4 genannten.

[Artikel 8 Absatz 3b Keine Prüfung der Hintergründe unbegleiteter Minderjähriger Es existiert keine besondere Berücksichtigung des Hintergrundes von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten mehr.]

Dies war in der englischen Version des Artikels 6 von Dublin III nie enthalten und ist auch in der englischen Version des Artikels 8 des Dublin-IV-Vorschlags nicht als Änderung angegeben. Die deutsche Version von Dublin III enthält diese Formulierung jedoch. Die deutsche Version von Dublin IV markiert die genannte Änderung auch als solche (Die letzten Zugriffe auf die jeweiligen Seiten erfolgten am: 20.11.16)

 

Artikel 8 Absatz 4: Abschiebung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter
Geltendes Recht war: Ein*e unbegleitete*r minderjährige*r Geflüchtete*r kann in dem EU-Staat bleiben, in dem diese*r sich aufhält.
Mit der neuen Verordnung wird dies geändert: Der Staat, in dem der erste Asylantrag gestellt wurde, ist zuständig; d.h. ein*e unbegleitete*r minderjährige*r Geflüchtete*r kann in einen Drittstaat bzw. in den zuständigen Mitgliedsstaat abgeschoben werden. Dies gilt nicht, wenn
sich Familienangehörige in anderen EU-Staaten aufhalten.
Artikel 9 Absatz 1: Einmalige Kriterienprüfung
Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats finden von nun an nur noch einmal statt. Vorher war die Anzahl der Prüfungen nicht definiert.
Artikel 10 Absatz 5: Wegfallender Minderjährigenschutz in nichtzuständigen Staaten
Unbegleiteten Minderjährigen wird die Prüfung auf Asylgewährung nur noch im zuständigen Mitgliedsstaat gewährt.

Abschaffung der Zuständigkeitsübertragung/Artikel 19 der Dublin-III-Verordnung
Die Übertragung der Zuständigkeit auf einen anderen Mitgliedsstaat als den zuerst betretenen ist abgeschafft.
Artikel 19: Einschränkung des Selbsteintrittsrechts
Das Selbsteintrittsrecht, die Möglichkeit für einen Staat, Geflüchtete nicht abzuschieben und das Prüfverfahren durchzuführen, lag bislang im Ermessen der Mitgliedsstaaten. Dies entfällt nun und wird nur in bestimmten familiären Fällen angewendet. Staatenspezifische Regelungen wie Kirchenasyl sind somit nicht mehr rechtskräftig.

Artikel 20 Absatz 1e: Ausweitung der Rücküberstellungsmöglichkeiten
Ein*e schon anerkannte*r Schutzberechtigte*r, welche*r in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedsstaat ist, darf in diesen abgeschoben werden. Wandert ein*e Geflüchtete*r von dem ihm*ihr zugeteilten Asylstaat in einen anderen Mitgliedsstaat, wird er*sie also in den
zugeteilten Asylstaat zurück überführt.
Artikel 20 Absatz 4: Stark eingeschränkte Prüfung auf Asyl nach Sekundärmigration
Wandert ein*e Geflüchtete*r erneut weiter, wird der erneute Antrag im zuständigen Mitgliedsstaat nur als Folgeantrag gewertet.
Im Folgeantrag werden die Fluchtgründe meistens nicht erneut in Gänze geprüft, sondern nur, ob sich die Sachlage geändert hat (-> ProAsyl). In Deutschland wird meistens sofort entschieden, dass die
„Sach- und Rechtslage“ sich seit dem ersten Verfahren nicht verändert hat (-> FluRat Niedersachen)
Artikel 20 Absatz 5: Kein Rechtsbehelf für rücküberstellte Geflüchtete
Wurde der Asylantrag abgelehnt, haben rücküberstellte Geflüchtete keinen Anspruch auf Rechtsbehelf.
Artikel 24 Absatz 1: Abschiebung aus nichtzuständigen Mitgliedsstaaten
Ein nichtzuständiger Mitgliedsstaat muss eine*n Geflüchtete*n innerhalb eines Monats an den zuständigen Mitgliedsstaat abschieben.
Bisher konnte der nichtzuständige Staat Geflüchtete innerhalb von drei Monaten abschieben.
Artikel 26: Wiederaufnahmemitteilung
Das Wiederaufnahmegesuch wurde umgewandelt in eine Wiederaufnahmemitteilung. Das bedeutet den Zwang zur Abschiebung in den zuständigen Mitgliedsstaat.
Artikel 27 Absatz 4: Abschaffung des Rechts auf aufschiebende Wirkung
Das Recht für Geflüchtete, eine aufschiebende Wirkung nach einer Entscheidung zur Überstellung in einen anderen Staat zu beantragen, ist abgeschafft.
Artikel 28 Absatz 2: Frist der Möglichkeit auf Rechtsbehelf für Geflüchtete
Geflüchtete haben innerhalb von siebe Tagen nach Zustellung einer Überstellungsentscheidung das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf (siehe Artikel 6 Absatz 1e). Bisher war statt der sieben Tage lediglich von einer „angemessene[n] Frist“ die Rede.

Artikel 28 Absatz 4: Beschränkung des Rechtsbehelfs
Der wirksame Rechtsbehelf beschränkt sich auf die Prüfung, ob gegen Artikel 3 Absatz 2 bzw. gegen die Artikel 10-13 bzw. gegen Artikel 18 verstoßen wird. Die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsbehelfs zur Prüfung z.B. der Artikel 24-26 (Wiederaufnahme) ist somit nicht gegeben.
Artikel 30 Absatz 2: Umgang mit ungerechtfertigter Abschiebung
Ein*e Geflüchtete*r, welche*r „irrtümlich“ abgeschoben wurde, muss von dem dafür verantwortlichen Staat wiederaufgenommen werden. Geflüchtete können somit gewissermaßen hin und her geschoben werden.
Artikel 34 Absatz 2: Korrekturmechanismus: Referenzzahl
Bei einer Referenzzahl eines Staates von 150% (gemäß Artikel 35) ist keine weitere Aufnahme von Geflüchteten für diesen Staat zwingend.
Artikel 35 Absatz 2: Korrekturmechanismus: Referenzschlüssel
Der Referenzschlüssel errechnet sich zu 50% aus der Bevölkerungsgröße und zu 50% aus dem Gesamt-BIP des Mitgliedsstaats.
Artikel 36 Absatz 1: Korrekturmechanismus: Übertragung der Zuständigkeit
Ist die Referenzzahl von 150% erreicht, kann der Staat eine*n Geflüchtete*n in einen anderen Mitgliedsstaat, welcher dann für die Prüfung zuständig ist, abschieben.
Artikel 37 Absatz 1 / Absatz 3: Korrekturmechanismus: „Finanzielle Solidarität“
Ein Mitgliedsstaat kann (nach Artikel 37 Absatz 1) zu regelmäßigen Zeitpunkten entscheiden, sich nicht am Korrekturmechanismus (Artikel 34-43) zu beteiligen, wenn er (nach Artikel 37 Absatz 3) für jede*n Geflüchtete*n, für welche*n der Staat eigentlich hätte zuständig sein
müssen, an den stattdessen zuständigen Staat eine Summe von 250.000 Euro zahlt.
Mitteilung der Kommission Haft und Leistungsentzug
In einer Mitteilung (weitere Sprachen. Zuletzt abgerufen: 20.11.16) vom 6. April 2016 an das Europäische Parlament und den Rat beschrieb die Europäische Kommission folgende Sanktionen als „angemessen“: „Darüber hinaus sollte ein Antragsteller, der geflüchtet ist oder bei dem Fluchtgefahr besteht, in ein ausgewiesenes Gebiet
in dem Mitgliedstaat verbracht oder gegebenenfalls in Haft genommen werden; ferner könnten materielle Leistungen in solchen Fällen nur in Form von Sachleistungen gewährt werden.“