Redebeitrag: Demo in Gedenken an Oury Jalloh // Dessau

“Der Mord an Oury Jalloh am 07. Januar 2005 war kein Einzelfall. Es ist zwar erschreckend, dass Menschen durch den Rassismus der staatlichen Strukturen, in die wir alle gezwungen sind, zu Tode kommen, doch es ist leider nicht die Ausnahme. Die Mörder Oury Jallohs waren zwar konkrete Personen, doch sie dürfen nicht als Einzeltäter*innen betrachtet werden.
Die Kette an Ereignissen und Entwicklungen, die zu diesem Mord geführt hat, ist lang, und sie kann nicht außerhalb der Herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen verstanden werden, in die sie eingebettet ist. Viele Bullen sind Rassist*innen, keine Frage, doch bereits die staatlich-repressive Praxis, die uns allzu oft als Recht und Ordnung verkauft wird, an sich ist rassistisch.

Der Kapitalismus kann nicht bestehen und funktionieren ohne Patriarchat und Unterdrückung, ohne Ausgrenzung und Diskriminierung, ohne Selektion und Gewalt. Die systematische Benachteiligung und Verfolgung von People of Color ist kein dummer Zufall, sondern systemische Notwendigkeit. Dass Europa seine Grenzen gegen Schutzsuchende abriegelt, ist nicht die Boshaftigkeit einzelner, sondern das Resultat neoliberaler Wirtschaftspolitik. Die Parteinahme von Justiz und Behörden gegen die Opfer und für die Täter rassistischer Bullengewalt liegt nicht in der moralischen Fehlbarkeit einzelner Richter*innen begründet, sondern geht direkt aus den Interessen der herrschenden Klassen und der Struktur unseres Staates hervor.

Niemals kann es einen Kapitalismus ohne Rassismus geben, das liegt auf der Hand. Niemals werden Bullen und Staat auf der Seite von Migrant*innen und Antifaschist*innen stehen, stets werden sie abschieben, einsperren und morden.
Die Abschottungspolitik des EU-Grenzregimes ist ein Beispiel für diese Form rassistischen staatlichen bzw. supranationalstaatlichen Agierens. Konkret möchten wir ein paar Worte zur geplanten Reform des europäischen Abschiebeabkommens Dublin4 sagen, das für den Tod tausender flüchtender Menschen verantwortlich ist.

Seit der Vereinbarung des Dublin-Systems im Jahr 1990 und dem Inkrafttreten desselben im September 1997 stehen die Dublin-Reformen immer wieder für eine menschenverachtende Asylpolitik, für den unmenschlichen Umgang mit Asylsuchenden, für massenhafte Abschiebung, Verantwortungslosigkeit gegenüber Menschen und die Ignoranz von Fluchtursachen. Die Härte dieser Politik der Ausgrenzung wird mit Dublin IV erneut auf die Spitze getrieben.
Im Mai 2016 wurde von der Europäischen Kommission Dublin IV als Vorschlag zur Verschärfung des Asylrechts vorgelegt. Im Frühjahr 2017 soll darüber abgestimmt werden. Das offizielle Vorhaben der Kommission, ein „gerechteres und effizienteres“ Verfahren zu schaffen, bedeutet übersetzt: Konsequentere und unangekündigte Abschiebung Asylsuchender, die Einschränkung des Schutzes unbegleiteter Minderjähriger, sowie des Familiennachzuges, hartes Sanktionieren für Sekundarmigration, also “Weiterflucht”.

– Dublin IV steht damit in einer Tradition von Entmündigung und Perspektivlosigkeit.

– Dublin IV schränkt die Bewegungsfreiheit von Menschen noch massiver ein, als es die Asylrechtsverschärfungen der einzelnen Staaten und die vorangegangen Dublin-Reformen konnten.

– Dublin IV eliminiert noch bestehende Grundrechte und macht Menschen zu Spielbällen der EU.

– Dublin IV entwickelt das europäische Grenzregime weiter und steht für die Militarisierung der EU-Außengrenzen. Selbst die verantwortete Lebensgefahr wird in Kauf genommen.

– Dublin IV ist ein Produkt der vorherrschenden Situation der Ausgrenzung und Unterdrückung und setzt diese radikal fort.

– Dublin IV ignoriert Fluchtursachen und die wirtschaftlichen Verwicklungen der EU-Staaten in diese. Zudem scheint die grausame Historie der kolonialen Machtpolitik und der postkolonialen Ökonomie für die europäischen Interessenspolitik nicht von Belang zu sein.

Die Mord an Oury Jalloh ist, so wie das Abschiebeabkommen Dublin IV, die Folge eines Systems, indem Geld wichtiger ist als die Leben von Menschen.

A / Anti / Anticapitalista!”