Heute findet hier in Leipzig die Innenministerkonferenz statt. Dabei lässt sich schon jetzt absehen, dass erneut im Namen der Sicherheit Asylrechtsverschärfungen geplant und weitere Schritte zur flächendeckenden Überwachung von Nicht-EU-Bürger_Innen vorbereitet werden.
In einem Interview im Januar hat Thomas de Maizière deutlich gemacht, in welche Richtung die kommenden Maßnahmen gehen werden. So hieß es: „In einer Zeit weltweiter Wanderungsbewegungen, des internationalen Terrorismus, der Auflösung von Staaten, des globalen Datenverkehrs und der Digitalisierung des privaten und öffentlichen Lebens haben wir eine Führungsrolle. Dieser Auftrag beginnt aber mit der Ordnung bei uns, in unserem Land.“
Zur Aufrechterhaltung einer vermeintlich „sicheren Ordnung“ und der Abwehr der in diesem Zitat genannten „Gefahren“ rechtfertigt im Folgenden auch die weitreichende Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten betroffener Menschen.
Unter diesen Vorzeichen wurden in den letzten zwei Jahren massenhaft Gesetze erlassen, die die Überwachung, Kontrolle und Verwaltung von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft ausweiten. Zu beobachten ist dabei die massive Technologisierung der Migrationskontrolle zum Zwecke der allgegenwärtigen Effizienzsteigerung.
Dabei wurde schon Anfang 2016 die Speicherung von Datenmengen in neuer Ausführlichkeit im Ausländerzentralregister ermöglicht. So können neben Fingerabdrücken auch Informationen zu Gesundheitsuntersuchungen oder über begleitende Familienangehörige erhoben werden. Seit August wurde zusätzlich der flächendeckende Abgleich von Fingerabdrücken und biometrische Gesichtsbildern mit zentralen Datenbanken ermöglicht. 2017 wird die Einführung einer Software zur Spracherkennung beschlossen, welche über den Dialekt einer Person deren Herkunft verifizieren können soll. Bei 18 aktiven fließenden Dialekten allein in Syrien scheint diese eine seltsame Form der Technikgläubigkeit zu beinhalten. Seit Mai diesen Jahres ist außerdem die Auslesung von elektronischen Geräten zulässig, sofern die Personen keine Ausweispapiere vorlegen können. Damit erhalten deutsche Polizist_Innen eine weitreichende Möglichkeit, Zugriff auf private Daten von Facebook und Bildergalerien zu erhalten. Aus einem internen Papier des Bundesinnenministeriums im Juni diesen Jahres geht hervor, dass der Verfassungsschutz an Asylanhörungen teilhaben darf und sich bei diesen nicht zu erkennen geben muss. Die in diesen Anhörungen erhobenen Daten gehen dann ins Ausländerzentralregister, auf das dann nahezu alle staatlichen Behörden Zugriff haben, zum Teil sogar automatisiert, wie beispielsweise die Staatsanwaltschaft oder das Jobcenter. Daten werden dabei auch an Behörden wie das Bundeskriminalamt oder Geheimdienste weitergegeben, wobei Sicherheitsbedenken vor allem durch rassistische Praxen zum Beispiel an Hand der Herkunft aus einem bestimmten Land gerechtfertigt werden.
Eine besondere Rolle in der Ausweitung von staatlichen Befugnissen spielt dabei immer wieder der Begriff des „Gefährders“. Dabei bezieht sich diese Kategorie nicht auf einen verurteilten Menschen und auch nicht auf jemanden, dem eine konkrete Straftat oder die Planung einer solchen nachgewiesen werden kann. Vielmehr obliegt die Einstufung, wer ein Gefährder ist und wer nicht den entsprechenden Sicherheitsbehörden. In Bayern beispielsweise bedeutet das für einen sogenannten Gefährder auf unbegrenzte Dauer in Gewahrsam genommen werden zu können. Im Zweifel kann die Person mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden. Was wir dabei vor allem beobachten, ist die Einführung einer neuen innenpolitischen Kategorie mit deren Hilfe Sicherheitsbehörden Zugang zu einer ganz neuen Palette von Werkzeugen bekommen und den Zugang dafür rechtfertigen mit der eigenen Zukunftsprognose.
Die Liste der (innenpolitischen?) Änderungen, die Asylsuchende, Nicht-EU-Bürger_Innen oder vermeintliche „Ausländer_Innen“ betreffen, ließe sich noch weiter fortsetzen. Mit den Asylpaketen I und II wurde versucht, Abschiebungen effizienter und den Aufenthalt von Menschen in Deutschland unerträglicher zu machen. Nachdem Abschiebungen nach Afghanistan nach dem ersten öffentlichen Aufschrei schon fast wieder routinemäßig durchgeführt werden, zeigen sich schon jetzt erste Vorstöße aus CDU und CSU- Reihen bald auch wieder nach Syrien abzuschieben. Ganz zu schweigen von den zahlreichen im öffentlichen Bewusstsein komplett ignorierten Abschiebungen nach Nordafrika oder in vermeintlich Sichere Herkunftsstaaten im Balkan. Auch besonders hier wird die IMK weiter zur Zuspitzung der Verhältnisse beitragen, wenn sie sich mit „Optimierungspotenzialen Rückkehr“ beschäftigt, wie es fast schon zynisch auf der Website heißt.
Was wir hier auf Ebene der Bundesrepublik sehen, ist ein Prozess der das reflektiert, was auf EU-Ebene schon seit Jahren vorangetrieben wird. Es werden massenweise Daten gesammelt, Grundrechte eingeschränkt und im Namen von Terrorismusabwehr oder der Aufrechterhaltung der vermeintlich „sicheren Ordnung“ Präventivmaßnahmen gerechtfertigt. In den meisten Fällen betrifft das Geflüchtete oder Nicht-EU-Bürger_Innen , aber die Werkzeuge und Legitimationsstrategien die getestet werden, dienen letzten Endes dazu alle Menschen zu überwachen.
Die Entwicklung der letzten Jahre genügt nicht einmal mehr den Minimalansprüchen des Status Quo. Dass die endgültige Verabschiedung von Rechtsstaatlichkeit, dem Grundrecht auf Asyl oder der Menschenwürde einfach so hingenommen wird, macht Widerstand nur noch dringlicher. Unangetastet bleibt dabei immer der gesellschaftliche Konsens: “Fremde” gehörden kontrolliert und überwacht. Das eröffnet dem Staat und anderen Akteur_Innen die Möglichkeit nach Lust und Laune zu definieren wer* fremd ist und damit den rassistischen Normalzustand auszunutzen.
Wir brauchen einen gemeinsamen Kampf gegen Kontrolle und Überwachung. Das wird nicht funktionieren ohne Rassismus und Kapitalismus zu thematisieren. Wir brauchen eine starke Bewegung, die sich den unmenschlichen und konkreten Konsequenzen dieser Politik entgegenstellt.
Leipzig, 07.12.2017