Aktuelle Entwicklung des Asylrechts in Europa und Deutschland – 26.07.2018

Aktuelle Entwicklung des Asylrechts in Europa und Deutschland – 26.07.2018

Eine Zusammenfassung von Buckel/Pichl: Europa: Politik der Lager, in BLÄTTER 8/18

 

In den letzten Wochen hat sich sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene in Bezug auf die Asyl- und Migrationspolitik viel bewegt.

Einen sehr empfehlenswerten Artikel von Sonja Buckel und Maximilian Pichl in BLÄTTER 8/18 wollen wir daher heute für euch zusammenfassen:

Der Asylstreit zwischen CDU und CSU, der mal wieder zeigt wie verroht die Debatte um den Umgang mit Fluchtbewegungen und von ihr Betroffene und wie gesellschaftsfähig offener Rassismus ist, zeigt dabei die gleiche Stoßrichtung wie der EU-Gipfel am 28.06.2018i. Zugeständnisse an autoritär-nationalistische Wortführer wie Kurz (Österreich), Orbán (Ungarn), Salvini (Italien) und Seehofer (BRD) sind dabei sowohl die Einrichtung von mehr Lagern zur Internierung und Immobilisierung von Geflüchteten sowie Abschottung und Aufrüstung.

Erneut wurde auch die Behandlung der Reform des GEAS (Gemeinsames Europäisches Asylsystem) verschoben. Kaum transparent steckt das Verfahren seit Anfang 2016 in einer Schleife von Entwurf-Gegenentwurf-Uneinigkeit und lässt erkennen, dass die überwiegend rechtskonservativ geführten Regierungen sich nicht mit dem Parlament auf eine adäquate Neuregelung für ein funktionierendes Asylsystem einigen können. Ihre Reaktion darauf sind (wie bei Seehofer gut gesehen werden kann) nationale Alleingänge und das Drängen auf faktische Maßnahmen wie Abschottung und Lagerbau, am Parlament vorbei.

Schon lange leiden vor allem die Staaten an der EU-Außengrenze unter der überproportionalen Verantwortung von Ankommenden. Doch auch nach aktuellem Stand der Dublin IV Regelung soll dies nicht behoben werden. Auch auf dem Gipfel geht die Tendenz zur „freiwilligen Aufnahme“ von Geflüchteten, zur Freude aller Abschotter.

Anstatt Verantwortung für die Ursachen der Fluchtbewegung wie die neokoloniale Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden zu übernehmen, ist das erklärte Ziel, so viele Menschen wie möglich vom europäischen Festland und Asylschutz fernzuhalten. Zentrales Element sind dabei die Errichtung und der Ausbau von Lagern und Frontex – Abwehr von Geflüchteten um jeden Preis. Und dieser wird mit dem Aufgeben rechtsstaatlicher Grundsätze bezahlt. Europäisches Asyl- und Migrationsrecht und der Grundrechteschutz gilt (eigentlich) sobald jemand* europäisches Territorium betritt. Doch Lager sollen zu Räumen werden, in denen das Recht nicht mehr anwendbar sein soll.

 

Es gibt 4 verschiedene Typen von Lagern:

1. „kontrollierte Zentren“ an EU-Außengrenzen

Diese ähneln den Hots-Spots, die es schon seit 2015 auf den griechischen Inseln gibt. Dort wird das komplette Asylverfahren durchlaufen und bei Ablehnung direkt von dort abgeschoben. Viele EU-Mitgliedstaaten weigern sich Geflüchtete von dort aufzunehmen und auch die Bundesregierung verzögert die versprochene Familienzusammenführung.

2. Transitlager an EU-Binnengrenzeii

Die SPD verhinderte zwar geschlossene Haftanstalten an der bayrisch-österreichischen Grenze, wie sie von Seehofer gefordert wurden, jedoch akzeptiert sie die im Vorschlag enthaltene „Fiktion zur Nichteinreise“. Ankommende werden in grenznahe Einrichtungen der Bundespolizei oder in den Transitbereich des Münchener Flughafens gebracht. Wie auch beim sog. Flughafenverfahren „werden sie der rechtlichen Fiktion unterworfen, nicht nach Deutschland eingereist zu sein.“.iii Dies verwehrt den Zugang zu ordentlichen Asylverfahren und anwaltlicher Unterstützung.

3. „regionale Ausschiffungsplattformen“ in Drittstaaten

Anstatt nach Europa, wie es geltendes Recht fordert und vom EGMR 2012 entschieden wurde (Verbot der Kollektivausweisung und Recht auf wirksame Beschwerde), sollen Geflüchtete, die aus Seenot gerettet wurden, in EU-finanzierte Lager in (Nord)Afrika gebracht werden, um dort ihre Asylanträge zu stellen. Der UNHCR und IOM sollen für die Einhaltung von internationalem Recht sorgen, was aufgrund fehlender europäischer Gerichte und Asylrechtsanwält*innen in bspw. Libyen, Algerien, Mali und Niger an Absurdität kaum zu übertreffen ist. Die Staaten, die sich (noch) gegen solche Lager an den „Knotenpunkten auf den Fluchtrouten“ stemmen, sollen mit Zahlungen in Höhe von 500 Mio. Euro an den „Trust fund for Africa“ gefügig gemacht werden.

4. Internierungslager in Drittstaaten

Schon in Mauretanien und Libyen gibt es ähnliche Lager, die von afrikanischen Regierungen betrieben, aber von der EU finanziell und durch Ausbildung unterstützt werden. So bspw. Die libysche Küstenwache durch die EU-Marinemission „Sophia“. Bekannt ist, dass in diesen „Folter und sexualisierte Gewalt vorherrschen und von dort aus Sklaverei organisiert wird“.iv

 

EU-Kommissar Avramopoulos kündigt zudem an, dass es bis 2020 eine echte Grenzschutzpolizei mit 10.000 Beamt*innen geben soll.

 

Der Artikel von Buckel und Pichl schließt damit, die aktuelle Entwicklung in einen rassistischen und kolonialen Kontext zu stellen, indem sie analysieren, dass Geflüchtete als „Andere“ konstruiert werden. „Denn eine Politik, die rhetorisch auf Abwertung und Entmenschlichung setzt, verändert die Grundlagen des alltäglichen Zusammenlebens und wird den Rassismus in der EU verstärken.“

Dem und der Aufforderung, sich gegen die unmenschliche Politik und das Vordringen rechter und nationalistischer Kräfte zu stellen, schließen wir uns gern an. Wir werden nicht müde die EU für diese Praxis zu kritisieren und dem einen Gegenentwurf von Solidarität entgegen zu stellen.

Umso wichtiger ist es, Betroffene und ihre Kämpfen zu unterstützen. Zur Zeit machen Women* in Exil eine Tour durch Deutschlandv, um auf die speziellen Probleme von geflüchteten Frauen* aufmerksam zu machen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind. Außerdem formiert sich gerade die Deutschlandweite Kampagne Seebrücke, um auf die Folgen der Abschottungspolitik hinzuweisen.

 

United we stand, united we fight: Europe is for everyone! Fight Fortress Europe!

 

Zum PDF geht’s hier: pichl_buckel zsmf

 

iAbschlussdokument EUCO 9/18 vom 28.06.2018, Brüssel
https://www.parlament.gv.at/PAKT/EU/XXVI/EU/02/85/EU_28586/imfname_10824317.pdf

iihttps://verfassungsblog.de/die-fiktion-der-souveraenitaet-in-transitzentren-was-ist-eigentlich-mit-der-orbanisierung-europas-gemeint/

iiihttps://verfassungsblog.de/die-fiktion-der-nichteinreise-ist-ein-instrument-der-entrechtung/

ivhttps://www.zeit.de/politik/ausland/2017-12/fluechtlinge-eu-westafrika-menschenrechte-schlepper-fluechtlingspolitik

vhttps://www.women-in-exile.net/

 

 

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