Zusammenfassung und Reflexion der Veranstaltungsreihe EUROPE IS FOR EVERYONE

Das Ziel unserer Veranstaltungsreihe war die Einflussnahme und das Handeln der EU zu thematisieren, indem die Zusammenhänge zwischen Fluchtursachen, Abschottungspolitik und europäischer Wirtschaftspolitik aufzeigt wurden. Dafür hatten wir Referent*innen eingeladen, die an einigen Beispielen deutlich gemacht haben, inwiefern die EU immer wieder daran beteiligt ist koloniale Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten, Menschen, die fliehen und migrieren, gewaltsam von den europäischen Zentren fernzuhalten und dieses Handeln immer wieder durch den Mythos der friedensstiftenden EU zu legitimieren. 

I. Ursachen

Im ersten Themenblock haben wir uns auf Fluchtursachen konzentriert. Krieg, Umweltzerstörung und Perspektivlosigkeit können nicht nur lokal, sondern müssen in ihren globalen Zusammenhängen verstanden werden. Daher war uns wichtig, die Rolle der europäischen Staaten als globale Akteurinnen stärker in den Fokus zu rücken. Nicht nur die Rolle, welche die europäischen Staaten durch ihre aktuelle Politik einnehmen, sondern auch die damit verbundene Kontinuität kolonialer und imperialer Machtpolitik aufzuzeigen. Zugleich wollten wir beleuchten, welches die Gründe sind, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Globale Ungerechtigkeit und imperiale Ausbeutungsstrukturen beruhen auf patriarchal-rassistischen Herrschaftsverhältnissen, die im gesamten überwunden werden müssen. Referent*innen zu diesem Thema waren Olaf Bernau vom transnationalen Netzwerk „afrique-europe-interact“ (https://afrique-europe-interact.net/) und die freie Journalistin Arlette-Louise Ndakoze.

Olaf Bernau verdeutlicht politisch-ökonomische Macht- und Dominanzverhältnisse, anhand von lokalen Kämpfen in verschiedenen afrikanischen Ländern. Er erzählt von seinen Erfahrungen aus der politischen Praxis und geht auf Chancen, Herausforderungen und Fallstricke bei der Zusammenarbeit von afrikanischen und europäischen Basisbewegungen ein. Damit liefert er einen wichtigen Anstoß zur Reflexion unserer Position und Privilegien als überwiegend weiße Aktivist*innen.

Anette-Louise Ndakoze stellt Wirtschaftsbeziehung in den Mittelpunkt ihres Vortrags. Dabei erläutert sie eingehend, welche Verträge und Vereinbarungen in den letzten Jahren getroffen wurden und dass diese einen krassen Bruch zu den Bestrebungen afrikanischer Staaten darstellen, unabhängiger vom Weltmarkt zu werden um die eigene Wirtschaft zu stärken. Bestrebungen hin zu regionalen Wirtschaftsgemeinschaften und der Versuch, Produktionsketten weitestgehend innerhalb des afrikanischen Kontinents zu halten, wurden durch Freihandelsverträge, insbesondere den „compact with Africa“ begegnet. Ziel der EU ist dabei offensichtlich nicht die Stärkung der afrikanischen Wirtschaft, sondern die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für Investitionen von Unternehmen der EU-Mitgliedstaaten. Menschen- und Völkerrechtliche Vereinbarungen finden keine Beachtung innerhalb dieser Abkommen, was den Verdacht auf ein Abkommen rein wirtschaftlicher Dimension bestärkt. Ein gutes Beispiel für die Schaffung neuer Absatzmärkte sind Rüstungsverträge zwischen EU- und afrikanischen Staaten, die europäische Unternehmen Gewinne in Milliardenhöhe versprechen.

II. Auswirkungen

Der zweite Block drehte sich um die Bedeutung des Begriffes „Festung Europa“. Als Symbol für die gefahrene Strategie der Abschottung ist sie allerdings keine Neuheit. Die damit sofort assoziierten Grenzzäune sind nicht im sogenannten „Sommer der Migration“ 2015 plötzlich aus dem Boden geschossen. Vielmehr umfasst der Begriff die breitflächig angelegte und geförderte Afrika-EU Politik, im Rahmen derer die EU schon seit langem in Form unterschiedlichster Verträge, Gesetze und technologischer Neuheiten ein komplexes System von Regelungen und Absprachen zur Realisierung der Abschottung aufgebaut hat. Welche Strategien und Systematiken sich in den letzten Jahren herausgebildet haben, war also zentrale Fragestellung dieses Themenblocks. Zu dieser Thematik haben taz-Redakteur Christian Jakob und das Informationszentrum für Militarisierung Vorträge gehalten.

Christian Jakob stellte einige Passagen aus dem Buch „Diktatoren als Türsteher Europas“ vor, welches das Ergebnis gemeinsamer Recherchearbeit innerhalb eines Projekts der TAZ (https://migration-control.taz.de) ist. Dabei beschreibt er sehr eindrücklich, wie die EU durch ihre Deals und Absprachen mit Machthabern afrikanischer Staaten aus den bis dahin weitestgehend nur auf Papier existierenden Grenzen durch Ausbildung und Ausrüstung von Grenzschützertruppen und der Errichtung von Grenzkontrollposten physische Grenzen aufbaut bzw. aufbauen lässt. Dabei erläutert er anhand vieler Beispiele, wie sich diese Politik der Abgrenzung im konkreten auf das Alltagsleben der Bevölkerung auswirkt, indem durch Enteignung die Lebensgrundlage vieler Familien und Dörfern zerstört wird. Durch die Umleitung von Fluchtrouten wird die Gefahr, in der Sahara umzukommmen, enorm steigert und billigend in Kauf genommen. Auch geraten Flüchtende dadurch in die völlige Abhängigkeit von Menschen, die deren hilflose Lage ausnutzen. Zudem geht er darauf ein, in welcher Weise die Abschottungspolitik einen extrem lukrativen, neuen Mark eröffnet. Rüstungskonzerne machen durch die Ausstattung der Grenzschutzeinheiten zum einen enormen Umsatz und können diesen Markt zudem zur Erprobung neuer Gerätschaften und Technologien nutzen. Hier schlägt sich also wieder die Brücke zum ersten Teil.

Jackie von der Informationszentrum für Militarisierung stellte die Instrumente zur Bekämpfung von Fluchtursachen, wie z.B. der EU Emergency Trust Fonds for Africa, vor. Dass dahinter neoliberale und auf “Sicherheit” pochende Politik der EU steckt, erläutert sie anschaulich. Anhand der nordafrikanischen Staaten Ägypten und Tunesien analysiert sie exemplarisch, welche Rolle die EU und die Bundesregierung in der Gestaltung der dortigen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten spielen.

III. Interessen

Der dritte Themenblock beschäftigte sich mit den Interessen, welche hinter dieser Politik stehen. Geht es darum, dem aus der zunehmenden Prekarisierung folgenden Rechts(d)ruck weiter Bevölkerungsteile und den daraus resultierenden Feindbildern entsprechend zu agieren? Wie kommt es, dass Migrant*innen zum Feind stigmatisiert werden, obwohl die offensichtlichen Ursachen für Ungleichheit und Ungerechtigkeit nicht aus der Sozialpolitik, sondern gerade aus der unbeschränkten Macht des Kapitals resultiert? Ist dies ein grundlegender Bestandteil neoliberaler Politik? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen gaben die Beiträge von Fabian Georgi, der gerade zur Stellung von Migrations- und Grenzregimen im Kapitalismus habilitiert, und Patrick Schreiner, Gewerkschafter und Publizist, interessante Denkanstöße.

Fabian Georgi zeigt auf, welche Ursachen-Bedingungs-Zusammenhänge bestehen und schlüsselt Prinzipien und Logiken durch Betrachtung im Gesamtzusammenhang auf. Er erläutert, dass regulierende Migrationspolitik notwendig ist, um über Instabilität und Krisen des Kapitalismus hinwegzuhelfen, um das System aufrecht erhalten zu können. Ein Grundprinzip des Kapitalismus ist der Wettbewerb, welcher ein „immer Mehr“ voraussetzt. Dies führt zu Landgrabbing und Ressourcenausbeutung, welche in afrikanischen Staaten zu Ursachen von Flucht werden. Offene Grenzen würden zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse führen, welche unvereinbar mit der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems wäre. Er geht auch darauf ein, welche Rolle Rassismus und Nationalismus innerhalb dieses Systems spielen. Nationalismus ist notwendig, um durch die dadurch implizierte Indentitätsbildung über die Missstände des Kapitalismus hinwegzutäuschen. Dieser setzt die Ausgrenzung anderer als der eigenen Staatsbürger*innen voraus. Zur Rechtfertigung der Ausgrenzung und der Aufrechterhaltung der Ungleichheit dient Rassismus. Dies geschieht, indem die Unterscheidung von Menschen aufgrund äußerer, unveränderbarer Merkmale eine Art irrationale Welterklärung für die ungleiche Verteilung von Privilegien darstellt und deswegen „natürlich“ nicht angetastet werden darf. Durch den Vortrag und seine materialistische Kritik am Grenzregime werden viele systemimmanente, sich gegenseitig bedingende Faktoren und Wirkketten deutlich.

Das Ziel des Vortrages von Patrick Schreiner war, die Verknüpfung und Wechselwirkung von Neoliberalismus und Rassismus herzustellen. Zunächst gab es eine kleine Einleitung zu den zentralen Begriffen. Die Entwicklung(sgeschichte) von Neoliberalismus wurde skizziert und im weiteren auf die ideologischen Schnittmengen eingegangen: Autoritarismus, Antirationalismus, Genese sozialer Struktur, Legitimation von Ungleichheit (u.a. durch Rassismus, aber auch durch Geschlechterverhältnisse) und die Identitätsbildung. Mit Zitaten von Theoretiker*innen dieser Denkweisen (z.B. Hayek, Rand, Darwin und Sarrazin) verdeutlichte er die neoliberale Logik von Leistungszwang, Selbstoptimierung und soziale Hierarchisierung. Dies verursache den Affekt von Machtlosigkeit, Nicht-genügen-können, Überforderung und Unsicherheit. Nur wird dies durch einige Teile der Gesellschaft nicht durch Solidarität, alternativem Wirtschaften und Selbstorganisation und der Abkehr von Kapitalismus beantwortet, sondern durch die Hinwendung zu Bewegungen und Parteien, die Ungleichheiten auf rassistischer Basis aufrecht erhalten wollen. Diese bedienen sie sich einer biologistischen, kulturellen/ethnopluralistischen und sozialchauvinistischen Argumentation, um identitätsstiftendes Überlegenheitsdenken zu legitimieren.

IV. Kämpfen

Unzählige und notwendige Analysen sind über den Aufstieg der sog. Neuen Rechten geschrieben wurden, aber um kurz darauf einzugehen, warum wir genau dies als Baustein für unsere Veranstaltungsreihe, in der es ja um Fortress Europe und die europäische Handels-, Außen- und Migrationspolitik geht, brauchen: Die Verschärfung des europäischen Asylsystems (GEAS) ist nicht nur die Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich von humanistischen Werten entfernt. Sie ist vor allem eine system-notwendige Reaktion auf soziale Bewegungen (Migrationsbewegungen), die sich auf rassistischen Diskriminierungs- und Ausbeutungsverhältnissen begründet. Diese ist absurderweise das Resultat einer durch „Neoliberalisierung“ der Welt geschaffene globale Ungleichheit. Instrumente wie Sturkturanpassungsprogramme und Privatisierung haben zum Abbau sozialstaatlicher Prinzipien und zur Abhängigkeit und Verarmung weiter Teile der Bevölkerung geführt. Dass dies zu lokalen Konflikten um geopolitisch wichtige Regionen und begrenzte Ressourcen (Wasser, Öl, Weideflächen) führt und viele Menschen zur Flucht zwingt, ist nur logische Konsequenz. Grenzen zu schließen, Mauern zu bauen, Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken zu lassen und wieder abzuschieben ist die Antwort der Nationalstaaten, die für die strukturelle Ungleichheit verantwortlich sind. Probleme und Krisen des Kapitalismus werden „weg“verwaltet und „weg“reguliert. Nur in diesem Kontext lassen sich die neuen Asylgesetze verstehen. Unter Fluchtursachenbekämpfung ist Abschottung und die Verweigerung essentieller Ressourcen zur Abschreckung allerdings nicht zu fassen.

InEUmanity hat zwar als ein Projekt begonnen, dass gegen erneute Asylrechtsverschärfungen kämpft, jedoch geht es nicht nur um die Skandalisierung einzelner Normen und Mechanismen der neuen Gesetze. Vielmehr wollen wir dadurch eine intersektionale Kritik am Kapitalismus und der diesen tragenden Institutionen (wie bspw. der EU) üben und darauf aufmerksam machen, welche fatalen Folgen das für individuelle Lebensgeschichten haben. Rassismus, historisch als notwendiger Pfeiler des Kapitalismus gewachsen, findet seine Auswirkung genau in dieser Gesetzgebung, wie auch in der alltäglichen Ausgrenzung und Abwertung.

Wir blicken auf die Vortragsreihe sehr positiv zurück. Die gut besuchten Veranstaltungen, kompetenten und motivierenden Referent*innen und ihre Inputs, sowie die interessanten Diskussionen im Anschluss haben uns in der Auseinandersetzung mit unserer politischen Praxis sehr weiter geholfen. Dies vertieften wir in einem Strategie-Workshop zu Herausforderungen antirassistischer politischer Arbeit, in dem wir in Kleingruppen und Plenum zu folgenden Themenfeldern diskutierten: In welchem Verhältnis stehen wir zu staatlichen Strukturen? Was sind Herausforderungen und Chancen konkreter Supportarbeit? Welche Aktionsformen können wir nutzen, um unsere Inhalte zu transportieren?

So werden wir, mit einem stärkeren theoretischen Unterbau, unseren Kampf gegen das System Kapitalismus und die aktuellen Politiken der Ausgrenzung fortsetzen. Auf weitere spannende Debatten, Analysen und Projekte. Wir stellen einen Gegenentwurf von einer Gesellschaft vor, die ihr System nicht von anderen abgrenzen will, sondern sie gemeinsam gestalten will. Ein Europa und eine Welt für alle. Emanzipatorisch, antifaschistisch und antinational.

Hier geht’s zum PDF: Zusammenfassung VA